Nel­vie Tia­fack: Sorg­los wie noch nie

Portrait-Serie: Wir sind der DBV

Nel­vie Tia­fack ist die Gelas­sen­heit in Per­son, als er sei­ne Besu­cher an einem hei­te­ren Nach­mit­tag im west­fä­li­schen Waren­dorf emp­fängt, wo er einen Lehr­gang der Bun­des­wehr absol­viert. Und wie er da am Ein­gang die Brust mit dem Adler auf dem Trai­nings­an­zug raus­streckt, spürt man Stolz und Zufrie­den­heit. Der 24-jäh­ri­ge Köl­ner mit Wur­zeln in Kame­run hat allen Grund dazu. Ein Faust­pfand auf die Zukunft war er zwar schon län­ger; letz­tes Jahr aber ist er tat­säch­lich zu einer fes­ten Grö­ße in der Eli­te des Super­schwer­ge­wichts avan­ciert. Einer, der zuver­läs­sig lie­fert und kei­ne Gedan­ken ans Schei­tern ver­schwen­det, wenn er an die nächs­ten gro­ßen Zie­le denkt – etwa die WM 2023 in Tasch­kent oder Olym­pia 2024 in Paris.

»Ich weiß zu hun­dert Pro­zent, dass ich das kann«, wird er spä­ter sagen. Und: »Ich wüss­te nicht, wer oder was mich da stop­pen sollte.«

So kann nur einer spre­chen, der sein immenses Poten­ti­al bereits ein­drucks­voll bestä­tigt hat. Ende Mai letz­ten Jah­res hol­te der 1,89 Meter gro­ße Ath­let des SC Colo­nia 06 in Ere­wan jeweils kurz Luft, um bin­nen fünf Tagen vier hoch­klas­si­ge Geg­ner aus dem Feld zu räu­men – und damit Euro­pa­meis­ter zu wer­den. Es war im Zwei­fel die impo­san­tes­te Serie des Tur­niers, denn auf dem Weg zu Gold gab Tia­fack auf den Zet­teln der Punkt­rich­ter nicht eine Run­de ab. Ein Kon­tra­hent wur­de nach zwei Durch­gän­gen von sei­nen Betreu­ern aus dem Kampf genom­men; ein ande­rer lud ihm zum Spar­ring nach Groß­bri­tan­ni­en ein, um von ihm zu ler­nen. Ein­deu­ti­ger kann einer im olym­pi­schen Box­sport kaum gewinnen.

Neu­er Mind­set: Ner­vo­si­tät strebt gegen Null

»Ich habe mir immer gesagt, das hast du schon tau­send Mal im Trai­ning gemacht, da steht nur eine ande­re Per­son vor dir«, erklärt der Hoff­nungs­trä­ger. Mit die­sem run­ter­ge­kühl­ten Mind­set habe er wäh­rend der Duel­le »kei­ne Ner­vo­si­tät, gar nix« ver­spürt: »Ich weiß natür­lich, was im Kampf­sport alles pas­sie­ren kann. Aber im Ring den­ke ich nicht dar­an. Da ist nichts, was mir Sor­gen macht.« Die vie­len Anfra­gen von Redak­tio­nen sowie die Posts von Fans und Fol­lo­wern — dar­un­ter ein Extra­lob von Axel Schulz — haben dem frisch gekür­ten Cham­pi­on damals gespie­gelt, dass sei­ne Erfol­ge da drau­ßen wahr­ge­nom­men werden.

»Sowas freut mich mega«, sagt er, »nur möch­te ich halt nicht dar­an hän­gen­blei­ben. Da soll noch mehr kommen…«

Mög­lich gewor­den ist das Gan­ze indes nur nach einer schmerz­haf­ten Bruch­lan­dung. Die zog sich der Sport­sol­dat im Juni letz­ten Jah­res zu, als er in Paris, bei der Olym­pia-Qua­li­fi­ka­ti­on für Tokio, gleich zum Auf­takt ver­lor — gegen einen Kon­kur­ren­ten, den er theo­re­tisch »mit links« hät­te besie­gen müs­sen. Doch das ist ein­fach gesagt, wenn einer bis dahin immer knapp 120 Kilo in den Ring geschleppt hat, weil er gegen die Lust auf gezu­cker­te Säf­te und einen ungüns­ti­gen Stoff­wech­sel bis­her kei­ne Mit­tel fand. Also zog sich Tia­fack end­lich selbst kräf­tig am Ohr: »Ich habe mir gesagt, ent­we­der du willst das oder nicht, und dann habe ich das durchgezogen.«

Wenn man auf­hört, an Feh­lern zu arbei­ten, hat man schon ver­lo­ren. Ganz einfach.

Redu­zier­tes Gewicht bringt maxi­ma­le Explosivität

Gemeint ist der kon­se­quen­te Ernäh­rungs­plan, bei dem Tia­fack auch die Tipps sei­nes Team­ka­me­ra­den Ammar Abdul­jab­bar beher­zig­te, um ins­ge­samt acht, neun Kilo zu ver­lie­ren. Und sie­he da: Schon beim WM-Tur­nier im Herbst 2021 konn­te ihn in der schnel­le­ren, explo­si­ve­ren Ver­si­on nur ein dis­ku­ta­bler Ent­scheid der Punkt­rich­ter stop­pen; die haben ihn in Bel­grad »welt­meis­ter­lich beschis­sen«. Auf län­ge­re Sicht zählt jedoch, dass sich ten­den­zi­ell eine süße Ahnung bewahr­hei­tet hat. Wie hat­te er doch hin und wie­der schon mal gesagt: »Wenn ich unter 115 Kilo kom­me, haben die ande­ren kei­ne Chan­ce mehr.«

So weit hat­te der 15-jäh­ri­ge, klo­bi­ge Jun­ge aus Berg­heim an der Erft nie gedacht, als er zum ers­ten Mal im Gym von SC Colo­nia vor­sprach. Ganz im Gegen­teil: Das Schild am Ein­gang mit dem Hin­weis auf einen »Leis­tungs­stütz­punkt« schreck­te ihn so ab, dass er auf dem Absatz kehrt­ma­chen woll­te. ´Zu hoch für mich´, dach­te er, weil er zunächst nur etwas gegen sein Gewicht unter­neh­men woll­te – nur eben nicht wie­der im Fuß­ball­team: »Ich woll­te mei­nen Erfolg nicht in die Hän­de ande­rer Leu­te legen.« Dass ihn sei­ner­zeit noch ein Trai­ner abfan­gen und in die Sache hin­ein­zie­hen konn­te, kommt inzwi­schen auch dem DBV zugu­te. Der hat im obers­ten Limit seit Erik Pfeif­fer (2013 Bron­ze in Alma­ty) kei­nen Medail­len­ge­win­ner mehr an einem glo­ba­len Tur­nier gehabt.

Vor allem aber pro­fi­tiert Tia­fack selbst davon. Er kann sich dank star­ker Ver­bands­part­ner wie der Sport­för­de­rung der Bun­des­wehr und der Sport­hil­fe voll auf sei­nen olym­pi­schen Traum fokus­sie­ren — und par­al­lel even­tu­ell schon mal bei den Pro­fis rein­schnup­pern. Die­se Opti­on hat der DBV den Ath­le­tIn­nen auch auf sei­ne Initia­ti­ve hin ein­ge­räumt. Ers­te Offer­ten errei­chen ihn schon län­ger in loser Fol­ge, »aber bis­her war nichts dabei, was mir rich­tig gefällt, und ich muss nicht auf Teu­fel komm raus bei­des machen… Für mich muss alles stim­men. Ich möch­te da nicht nur vor zwei­hun­dert Leu­ten boxen.«

Zeit ist eben noch nicht der ent­schei­den­de Fak­tor. Son­dern die Neu­gier, wie weit ihn der Weg unter so güns­ti­gen Umstän­den füh­ren kann – gera­de jetzt, wo ihm mit Niki­ta Puti­l­ov ein wei­te­res DBV-Talent im Nacken sitzt. Dafür kniet er sich zwi­schen den Trai­nings­la­gern des Ver­bands und der Hal­le des SC Colo­nia 06, unter der Regie von Trai­ner Lukas Wila­schek, Tag für Tag wei­ter rein, denn »wenn man auf­hört, an Feh­lern zu arbei­ten, hat man schon ver­lo­ren. Ganz ein­fach.« Außer­dem möch­te er mit wei­te­ren, viel­leicht noch grö­ße­ren Erfol­gen nur zu gern ein schlag­kräf­ti­ges Bei­spiel in Sachen Inte­gra­ti­on abgeben.

»Wenn ich als Dun­kel­häu­ti­ger auf einer so gro­ßen Büh­ne ste­he, kann ich viel­leicht auch Leu­te mit Vor­ur­tei­len dazu brin­gen, anders zu den­ken«, sagt der Unter­of­fi­zier im Trai­nings­an­zug. »Dann hät­te ich schon was geschafft.« Auch in dem Sin­ne geht der Sport schließ­lich vor­an, »da zählt nur die Leistung.«


Nel­vie Tiafack