»Ich kann auf vie­le Leu­te bau­en, mit denen sich etwas bewe­gen lässt«

DBV-Präsident Jens Hadler mit einer Bilanz nach den Spielen in Paris

Herr Pro­fes­sor Dr. Had­ler, wie fällt Ihr Resü­mee vom olym­pi­schen Box­tur­nier in Paris aus, nach drei Erst­run­den-Nie­der­la­gen und Bron­ze für Nel­vie Tia­fack: Ist das Glas halb voll oder halb leer?

Erst­mal sind wir glück­lich über die Medail­le, das ist nach den Spie­len in Tokio 2021 ein Qua­li­täts­sprung. Aber auch Mago­med, Omid und Maxi haben alles rein­ge­wor­fen und bis zum Schluss gekämpft. Des­halb bin ich allen vie­ren sehr dank­bar. Das gilt auch für ihre Trai­ner und das groß­ar­ti­ge Orga-Team, das hin­ter ihnen stand. 

Ohne die Anstren­gun­gen von vie­len wäre die­ser Erfolg nicht mög­lich gewesen.

Natür­lich wären mehr Medail­len immer noch schö­ner, und mit etwas mehr Glück hät­te sich auch noch der oder die ande­re für Paris qua­li­fi­ziert. Aber von jetzt ab müs­sen wir hart arbei­ten, damit 2028 noch bes­ser wird. Das ist unser erklär­tes Ziel.

Ist es all­ge­mein gelun­gen, wie­der Kon­takt zur Welt­eli­te herzustellen?

Eini­ge Resul­ta­te auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne kann man ten­den­zi­ell so aus­le­gen. Aber pau­schal ist das schwer zu sagen, denn da oben hat sich eini­ges getan. Kuba domi­niert nicht mehr, dafür hat auf ein­mal die Domi­ni­ka­ni­sche Repu­blik zwei Medail­len, und die Kap­ver­den und Tadschi­ki­stan haben je eine. Mehr hat zum Bei­spiel auch das bri­ti­sche Team nicht geholt, wo ganz ande­re Ansprü­che herrschen.

Dafür haben Usbe­ki­stans Män­ner fünf von sie­ben Gold­me­dail­len geholt. Ist dort ein Sys­tem auf­ge­baut wor­den, das ande­ren Ver­bän­den etwas sagen kann?

Es soll kei­ne Aus­re­de sein, aber dort ist Boxen nun mal Staats­sport. Der Prä­si­dent mag Boxen, da wird die För­de­rung ins­be­son­de­re seit 2017 mas­siv gepusht. Und wenn ein Sys­tem so breit auf Erfolg aus­ge­legt ist, auch durch die ent­spre­chen­de Infra­struk­tur und finan­zi­el­le Mit­tel, und es bei Rück­schlä­gen auch nicht hoch­fre­quent in Fra­ge gestellt wird, kommt eben sowas dabei heraus.

Was bedeu­tet die Bron­ze­me­dail­le für die Unter­stüt­zung, die der deut­sche Ver­band durch sei­ne insti­tu­tio­nel­len Part­ner und För­de­rer erfährt?

Im hie­si­gen Modell ist eine olym­pi­sche Medail­le extrem wich­tig, gera­de in Hin­sicht der finan­zi­el­len För­de­rung für unse­re Kader. Da gehö­ren wir lie­ber zu den sech­zehn Ver­bän­den, die in Paris etwas geholt haben.

Wie ist der Fahr­plan für die Ana­ly­se des letz­ten olym­pi­schen Zyklus´, um wel­che The­men wird es dabei gehen?

Wir wer­den kei­ne 180-Grad-Wen­de machen, aber natür­lich müs­sen wir uns hin­ter­fra­gen und neu jus­tie­ren. Dazu wird es Ein­zel­ge­sprä­che und eine Klau­sur mit den ver­ant­wort­li­chen Trai­nern und Stütz­punkt­lei­tern geben. Danach wer­den wir das im Vor­stand aus­wer­ten und uns ent­schei­den­de Fra­gen stel­len. Zum Bei­spiel, inwie­weit es Sinn macht, das Trai­ning der Spit­zen­ath­le­ten noch mehr zu zen­tra­li­sie­ren. Oder wie sich Sport­wis­sen­schaft und ‑metho­dik noch bes­ser ver­an­kern las­sen, von den ein­zel­nen Stütz­punk­ten bis rauf zur Natio­nal­mann­schaft. Das und mehr gehen wir ergeb­nis­of­fen an.

Stand jetzt ist das Boxen nicht im Wett­be­werbs­pro­gramm der olym­pi­schen Spie­le in Los Ange­les. Was kann der Ver­band sei­nen bes­ten Akti­ven ant­wor­ten, wenn die fra­gen, wofür sie trainieren?

Ich bin sehr guten Mutes, dass Boxen olym­pisch bleibt, und dann ist World Boxing die ein­zig rea­lis­ti­sche Per­spek­ti­ve. Trotz­dem soll­ten wir über­le­gen, wie wir den nächs­ten olym­pi­schen Zyklus für unse­re Ath­le­ten und Ath­le­tin­nen noch attrak­ti­ver gestal­ten kön­nen. Boxen, Aus­bil­dung, Beruf, Lebens­qua­li­tät: Das soll ja alles pas­sen. Grund­sätz­lich ver­wei­gern wir uns auch nicht, wenn der ein oder ande­re Pro­fi­kämp­fe bestrei­ten möch­te, sofern es in sei­ne oder ihre Indi­vi­du­al­pla­nung passt. Auch da haben wir uns geöff­net und sind wesent­lich fle­xi­bler geworden.

Nun ist in Deutsch­land ein zwei­ter, natio­na­ler Ver­band fürs olym­pi­sche Boxen gegrün­det wor­den, der sich der IBA ange­schlos­sen hat und ihr deut­sche Akti­ve für hoch dotier­te inter­na­tio­na­le Tur­nie­re zufüh­ren will. Wie stellt sich der DBV dazu?

Ich hät­te die jet­zi­ge Lage gern ver­mie­den, um unse­ren Akti­ven alle Türen offen­zu­hal­ten. In dem Sin­ne habe ich mich sehr lan­ge für eine Dop­pel­mit­glied­schaft des DBV in bei­den Welt­ver­bän­den ein­ge­setzt. Nur hat uns die IBA dann sus­pen­diert. Das alles erfüllt uns nicht mit Freu­de. Ande­rer­seits blei­ben wir prin­zi­pi­ell zur Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen bereit, solan­ge sie unse­ren Wer­ten und Anfor­de­run­gen (zum Bei­spiel im medi­zi­ni­schen Bereich) ent­spricht. So ist es auch im Eck­punk­te-Papier bezüg­lich der Zusam­men­ar­beit des DBV mit nicht-olym­pi­schen Ver­bän­den hin­ter­legt, das wir mit den Lan­des­ver­bän­den abge­stimmt und beschlos­sen haben.

In wel­cher Form, auf wel­chen Ebe­nen bringt das Vorteile?

Wir haben vor Kur­zem zum Bei­spiel eine Koope­ra­ti­on mit AMS­ports ver­ein­bart. Die­se Orga­ni­sa­ti­on küm­mert sich sehr seri­ös um das Gym- und Fit­ness­bo­xen. Das eröff­net uns neue Mög­lich­kei­ten für Akti­ve, die sich jen­seits des Hoch­leis­tungs­sports ent­wi­ckeln und ab und zu in den Ring stei­gen wol­len. Die­se Grup­pe macht übri­gens den mit Abstand größ­ten Teil der Akti­ven im Ver­band aus. Dar­um darf sie mit gutem Recht erwar­ten, dass auch für sie attrak­ti­ve Wett­kampf­for­ma­te und Pro­gram­me auf­ge­legt wer­den. Ohne Brei­ten­sport kei­ne Wett­kampf­bo­xer, ohne Wett­kampf­bo­xer kei­ne Kader, ohne Kader kei­ne Olym­pia-Teil­neh­mer. Der DBV hat fast 90.000 Mit­glie­der, davon sind ca. 10% Wett­kampf­bo­xer. Wir sind aber auch der DBV der »rest­li­chen« 81.000 Mitglieder. 

Und der neue, bereits in die IBA auf­ge­nom­me­ne Verband?

Ich bin etwas irri­tiert, wenn sich so eine Orga­ni­sa­ti­on als ›neu­er deut­scher Box­ver­band‹ bezeich­net und aggres­siv an Ver­ei­ne oder Trai­ner her­an­tritt, damit sie dort Mit­glied wer­den. Das müs­sen wir uns genau­er anschau­en. Für unse­re Kader sehen wir das The­ma aber nicht, die sind in einem fes­ten Trai­nings- und Ver­an­stal­tungs­zy­klus unter­wegs. Davon ab müs­sen wir ein­fach so attrak­tiv sein und so viel Wer­te ver­mit­teln, dass Akti­ve, Trai­ner und ande­re Funk­ti­ons­trä­ger bei uns ihre Hei­mat sehen. Es macht ja kei­nen Sinn, zehn Meter hohe Mau­ern um sich zu bauen.

Im Eck­punk­te­pa­pier ist auch von Aus­bil­dungs­ver­gü­tun­gen die Rede, die ande­re Ver­bän­de zah­len müs­sen, wenn sie Kampf­rich­ter oder Offi­zi­el­le des DBV rekru­tie­ren.

Wir ver­fü­gen der­zeit über mehr als 3500 lizen­zier­te Trai­ner und 600 Kampf­rich­ter, Ring­ärz­te, Zeit­neh­mer etc. Die sind mit viel Kom­pe­tenz und Know-how, aber eben auch mit Steu­er­geld und Mit­glieds­bei­trä­gen aus- und wei­ter­ge­bil­det wor­den. Das machen wir nicht, damit ande­re davon unent­gelt­lich pro­fi­tie­ren, und wir stel­len es auch nicht zur Ver­fü­gung, wenn wir Ver­stö­ße gegen unse­re Sat­zung oder unse­re Wer­te erken­nen. Dann ist eine rote Linie überschritten. 

Das sind in der Sum­me etli­che Bau­stel­len mit kom­ple­xer Pro­ble­ma­tik. Was macht Sie hin­sicht­lich der Zukunft des DBV den­noch zuversichtlich?

Ich kann im Vor­stand wie in den Lan­des­ver­bän­den auf vie­le Leu­te bau­en, mit denen sich etwas bewe­gen lässt. Die schau­en kon­struk­tiv nach vorn. Außer­dem hat mich das Leben gelehrt, dass sich der gesun­de Men­schen­ver­stand meis­tens durch­setzt – auch wenn es mit­un­ter schon mal län­ger dau­ert. Dar­um gehe ich davon aus, dass alle Ver­bän­de und Ent­schei­der sich bald wie­der auf das kon­zen­trie­ren, was für den Box­sport das Bes­te ist.

Wird sich World Boxing als aner­kann­ter Part­ner des IOC eta­blie­ren können?

Noch ist ein Ein­spruch der IBA am Schwei­zer Bun­des­ge­richt anhän­gig, des­halb wird das nicht ganz so schnell gesche­hen. Doch bei allem, wie World Boxing agiert, hat der Ver­band gute Chan­cen, wei­te­re Län­der von sich zu über­zeu­gen. Er ist ja auch alter­na­tiv­los, wenn es um die olym­pi­sche Per­spek­ti­ve geht.