Anne­ma­rie Stark: Zei­gen, wo es langgeht

Portrait-Serie: Wir sind der DBV

Anne­ma­rie Stark ist schon so oft als Vor­rei­te­rin gehan­delt wor­den, dass ihr das Beson­de­re dar­an inzwi­schen kaum noch auf­fällt. Als jun­ge, wie­sel­flin­ke Boxe­rin wur­de sie irgend­wann die ers­te deut­sche Meis­te­rin aus Schles­wig-Hol­stein und hol­te am EM-Tur­nier 2014 Bron­ze für den deut­schen Box­sport-Ver­band (Halb­flie­gen­ge­wicht). Als Sol­da­tin der Bun­des­wehr avan­cier­te sie zum Kapi­tän­leut­nant, was weder vie­le Frau­en noch vie­le Män­ner schaf­fen, und bil­de­te an der Unter­of­fi­ziers­schu­le der Mari­ne in Plön Kadet­ten aus. Vor fünf, sechs Jah­ren war sie dann ers­te Wahl, als bei ihrem Ver­ein BC Lübeck eine neue, ver­ant­wort­li­che Per­son für die dort akti­ven Mäd­chen und Frau­en gesucht wur­de – und wie­der ergriff sie ohne lan­ges Pala­ver die Gelegenheit.

»Damals dach­te ich mir: Wenn alle sagen, dass ich das kann, mag das wohl so sein«, begrün­det sie ihre Ent­schei­dung in han­sea­ti­scher Klar­heit. Wirk­lich erstaunt über das Ange­bot war sie zu dem Zeit­punkt jedoch längst nicht mehr. Denn wo es geht und steht, strahlt das über­schau­ba­re Ener­gie­pa­ket die­sen beson­de­ren Mix aus Empa­thie und Kon­se­quenz, Nähe und Ver­bind­lich­keit aus. »Ich wuss­te schon immer, dass ich gut mit Leu­ten kann«, erklärt sie, »und ich weiß halt auch, wie ich ihnen was bei­brin­gen kann.« Anders hät­te sie sich etwa bei der Mari­ne kaum behaup­ten kön­nen, ist sie heu­te über­zeugt: »Da stehst du vor hun­dert­fünf­zig Män­nern und sagst denen, wo es lang­ge­hen soll.«

Inzwi­schen steht die Anne­ma­rie fünf Mal die Woche im Gym des BC Lübeck, nahe der Mari­en­brü­cke, mal vor und mal inmit­ten einer Trai­nings­grup­pe von jun­gen Frau­en. Für die ist sie in flie­gen­dem Wech­sel das uner­reich­te Vor­bild, die nim­mer­mü­de Spar­rings­part­ne­rin oder die gute Freun­din. An ande­ren Tagen ist sie außer­dem am Leis­tungs­stütz­punkt Schwe­rin enga­giert, wo sie mit hand­ver­le­se­nen Talen­ten arbei­tet, ambi­tio­nier­ten Junio­rin­nen wie Senio­rin­nen. Auch da mar­schiert sie vor­ne­weg — eben­so wie als Mit­glied im Deut­schen Frau­en­rat, dem höchs­ten Betei­li­gungs­gre­mi­um für die Inter­es­sen von Frau­en, wo sie jetzt mit elf wei­te­ren Dele­gier­ten den Deut­schen Olym­pi­schen Sport­bund (DOSB) repräsentiert.

Muti­ge Ent­schlüs­se: Auf­ga­ben anneh­men, um das bes­te dar­aus zu machen

Die­se Auf­ga­ben sind in loser Fol­ge auf die 37-jäh­ri­ge zuge­kom­men, ohne dass sie selbst es unbe­dingt ange­strebt hät­te. Im Boxen etwa hat sie das vor allem ange­nom­men, »weil ich den Sport lie­be. Es ist mir im Grun­de auch schie­te­gal, ob ich Kin­der oder Frau­en, Men­schen mit Beein­träch­ti­gung oder Alz­hei­mer-Pati­en­ten trai­nie­re – haben wir hier alles schon gemacht. Haupt­sa­che, mei­ne Schütz­lin­ge sind begeis­tert vom Box­sport und wol­len ernst­haft was lernen.«

Die Mädels sind für mich auch Freun­din­nen, wir sind nett und lieb zuein­an­der. Aber sobald ich etwas ver­mitt­le, bli­cken die zu mir hoch. Ich sage dann auch schon mal: Das müsst ihr kön­nen, natür­lich könnt ihr das!

Und der Ver­band: hät­te sowie­so am liebs­ten ganz schnell mehr von ihrer Sor­te. Nur so kann er dem erklär­ten Vor­satz, Frau­en auf allen Ebe­nen stär­ker in Ver­ant­wor­tung zu brin­gen, auch Taten fol­gen las­sen. Was auch für Stark bloß über­fäl­lig ist. »Ich sag mei­nen Mädels manch­mal: Macht doch mal ´n Übungs­lei­ter, dann könnt ihr spä­ter auch mal Trai­ner sein«, betont sie. »Ich will ja nicht die­ses Nach-mir-kommt-kei­ne-mehr, son­dern ich möch­te das unheim­lich ger­ne för­dern. Denn so´ne gewis­se Balan­ce zwi­schen Män­nern und Frau­en soll­te es eigent­lich schon geben…«

Doch solan­ge es da noch hakt, setzt sie sich wei­ter man­chen Hut auf. Betreut männ­li­che wie weib­li­che Ath­le­ten als Team­ma­na­ge­rin, wie im ver­gan­ge­nen Früh­jahr bei der U22-EM im kroa­ti­schen Porec. Ist Ansprech­part­ne­rin für Fäl­le von sexu­el­ler Gewalt und Über­grif­fen im Ver­band. Und fun­giert im Nor­den als Sich­tungs­trai­ne­rin für auf­fäl­li­ge Talen­te aus vier Bun­des­län­dern – Schles­wig-Hol­stein und Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Ham­burg und Bremen.

Kon­se­quen­ter Auf­tritt: Erklär­te Zie­le wer­den »knall­hart« verfolgt

»Eigent­lich fan­gen wir jetzt erst rich­tig an, das metho­disch auf­zu­bau­en«, erzählt sie. Aber ein­mal auf die Bahn gesetzt, will sie das unbe­dingt durch­zie­hen. Die­se Ent­schlos­sen­heit hat ihr gera­de der Sport ver­mit­telt: »Wenn ich ein Ziel anpa­cke, dann ist es das. Du musst Dis­zi­plin haben, dei­ne Zie­le knall­hart ver­fol­gen. Manch­mal bleibt da auch das Pri­vat­le­ben auf der Stre­cke, das ist die Kehr­sei­te im Leistungssport.«

Anders hät­te sie es auch nicht geschafft, neben­her noch ein kom­plet­tes Fern­stu­di­um der Psy­cho­lo­gie zu absol­vie­ren. Oder nach einem Kreuz­band­riss erneut zurück­zu­kom­men — so gut, dass sie neun Mona­te dar­auf bei den deut­schen Meis­ter­schaf­ten noch mal Drit­te wur­de und zur WM 2019 nach Ost­si­bi­ri­en fuhr. Wer dahin­ter aller­dings eine gna­den­lo­se Schlei­fe­rin ver­mu­tet, begeht einen schwe­ren Feh­ler. In Lübeck wie anders­wo weiß Anne­ma­rie Stark aus eige­ner Erfah­rung sowie Beob­ach­tung recht genau, wie sie das Pen­sum dosie­ren muss.

»Die Mädels sind für mich meist auch Freun­din­nen, wir sind nett und lieb zuein­an­der«, sagt sie. »Die kom­men auch schon mal mit pri­va­ten Din­gen an. Aber sobald ich etwas ver­mitt­le, bli­cken die zu mir hoch und neh­men mich ernst. Ich sage dann auch schon mal: Das müsst ihr kön­nen, natür­lich könnt ihr das! Män­ner sind da Frau­en gegen­über oft ein biss­chen softer…«

Alles in allem ist es dem­nach eine gute Idee des DBV gewe­sen, die uner­schro­cke­ne Frau (»Ich war schon immer die Lau­tes­te in der Klas­se«) in die Ver­ant­wor­tung zu neh­men, und wenn sie dadurch ein über­fäl­li­ges Bei­spiel set­zen könn­te, wäre es ihr nur recht. »Heu­te sage ich: Das war die bes­te Ent­schei­dung der letz­ten Jah­re«, blickt Anne­ma­rie Stark zurück – und gleich wie­der nach vorn: »Der Ver­band muss uns Trai­ne­rin­nen aber auch eine ech­te Per­spek­ti­ve bieten.«


Anne­ma­rie Stark