Andrew Col­bourne: Der gewis­se Draht

Wir sind der DBV

Unter ande­ren Umstän­den wür­de er viel­leicht wie der End­fünf­zi­ger wir­ken, als den ihn sein (bri­ti­scher) Pass aus­weist. So aber hält der gan­ze Schla­mas­sel sei­nes Ehren­am­tes Andrew Col­bourne spür­bar jung. Ein Jugend­leis­tungs­spor­tob­mann im Deut­schen Box­sport-Ver­band (DBV) ist schließ­lich nicht nur gefragt, wenn er mit dem ver­ant­wort­li­chen Trai­ner (Andre­as Schulz) und der Mana­ge­rin für Nach­wuchs­teams (Bea­tri­ce Bas­ti­an) natio­na­le Kader oder Staf­feln der Kadet­ten und Junio­ren selek­tiert. Er ist im All­tag der Ver­ei­ne und Ver­bän­de oft auch einer der ers­ten Ansprech­part­ner für vie­les, was Youngs­tern Pro­ble­me bereitet.

Trou­ble zu Hau­se und in der Schu­le, Trou­ble mit dem Jugend­amt oder mit der Poli­zei: Man muss wohl so zuge­wandt, aber auch so klar wir­ken wie der Mann, der im Umgang aus Grün­den des Respekts den­noch auf dem ›Sie‹ besteht, um von sol­chen Bau­stel­len über­haupt etwas mit­zu­be­kom­men. Das fühlt sich für ihn zwar häu­fig so an, »als wäre ich ehren­amt­li­cher Sozi­al­ar­bei­ter«. Gleich­zei­tig aber spie­gelt es ihm, dass da eine wich­ti­ge Ver­bin­dung funk­tio­niert. Denn wie weiß er aus lang­jäh­ri­ger Erfah­rung: »Ent­we­der kriegst du die, oder du kriegst sie nicht. Ent­schei­dend ist dabei nicht das Alter, son­dern wie du dich gibst.« 

Es hat vor allem mit die­sem beson­de­ren Draht zu tun, dass der gerad­li­ni­ge Mr. Col­bourne eine fes­te Adres­se für den deut­schen Nach­wuchs im olym­pi­schen Boxen gewor­den ist. »Ich bin fast mein gan­zes Leben lang Jugend­wart«, resü­miert er in einem Café unweit des Velo­droms am Prenz­lau­er Berg, wo die Boxer des TSC Ber­lin ein moder­nes Gym und der DBV sei­nen Lan­des­stütz­punkt unter­hält. Und zählt die Sta­tio­nen auf, an denen er seit über drei­ßig Jah­ren gewirkt hat: Vom Box-Club Vik­to­ria 71 Ber­lin, in den ihn der Schwie­ger­va­ter geholt hat, über den Ber­li­ner Lan­des­ver­band (BBV) bis zum DBV-Vor­stand, dem er seit rund fünf­zehn Jah­ren angehört.

Auf den ers­ten Blick mag das eine Auf­ga­be in der zwei­ten Rei­he sein. Wer lang­fris­ti­ger denkt, erkennt dar­in eine Schlüs­sel­po­si­ti­on. Nicht ohne Grund hat das Bun­des­mi­nis­te­ri­um des Innern inzwi­schen die Mit­tel für die Nach­wuchs­ar­beit des Ver­bands deut­lich auf­ge­stockt. Dort hat man jetzt ver­stan­den, »dass Leis­tungs­sport unten anfängt«, wie Col­bourne for­mu­liert. Das gilt im Boxen eben­so wie im Zwei­fel in jeder ande­ren, olym­pi­schen Dis­zi­plin, denn »wenn wir unten nix haben, wird oben auch nie was ankommen.« 

Nicht jeder, der das glaubt, ist schon ganz oben. Ande­re muss er vor sich selbst schützen.

So man­chen, erfolg­rei­chen Ath­le­ten hat Col­bourne seit des­sen ers­ten Spar­rings­run­den als Kadett beglei­tet, von Sven Ott­ke über Ste­fan Här­tel bis zu Murat Yil­di­rim. Dabei sind gute Bezie­hun­gen gewach­sen – aber auch die Ein­sicht, dass nicht jeder das Talent, die Kon­se­quenz und »die­se gesun­de, inne­re Aggres­si­vi­tät« mit­bringt, um auf höchs­ter Ebe­ne zu bestehen. »Es gibt wel­che, da ist irgend­wann eine Gren­ze erreicht«, resü­miert er. »Die musst du irgend­wann raus­neh­men, um sie zu schüt­zen. Ande­re den­ken, sie sind schon Welt­spit­ze. Aber das zu den­ken und wirk­lich dort zu sein, sind zwei ver­schie­de­ne Dinge.«

Außer­dem ist es noch mal »ein Rie­sen­schritt«, so Col­bourne, vom Nach­wuchs in die Eli­te der Senio­ren zu wech­seln. Dort geht es im Wett­kampf mitt­ler­wei­le nur noch nach vorn, vom ers­ten bis zum letz­ten Gong. »Man­che wol­len da noch rum­hop­peln, biss­chen gucken, was los ist, und schön boxen. Aber für Schön­bo­xen gibt es heut­zu­ta­ge kei­nen Preis. Alle vier Sekun­den muss eine Akti­on kom­men, das ist ein hohes Tempo.«

Dar­um ist es auch nicht damit getan, die jun­gen Ath­le­tin­nen und Ath­le­ten in ihrem Selbst­bild zu bestä­ti­gen. An Gefall­sucht hat der in Gel­sen­kir­chen gebo­re­ne Sohn eines eng­li­schen Sol­da­ten aller­dings nie labo­riert. Tat­säch­lich ent­pupp­te er sich nach der Rück­kehr auf die Insel bald als sol­cher »Row­dy«, wie er erzählt, dass die Eltern ihn im klein­städ­ti­schen Lin­coln, 200 Kilo­me­ter nörd­lich von Lon­don, in den dor­ti­gen Boxing Club schick­ten. So begann eine Lei­den­schaft, die er als Rekrut des Second Bat­tali­on im ›Roy­al Angli­an Regi­ment‹ spä­ter mit nach West-Ber­lin brach­te. Auch dort gab es eine Box-Staf­fel, für die das Mit­tel­ge­wicht bei inter­nen Meis­ter­schaf­ten der Bri­tish Forces gern Ehre einlegte.

Nicht Sti­list, son­dern Pun­cher: Wie er nach­her aus­sah, war ihm in sei­ner eige­nen Zeit egal.

»Ich war nicht der fili­grans­te Boxer«, erin­nert er, »son­dern der Hau­er. Typisch eng­lisch. Manch­mal hät­te ich auf einer Brief­mar­ke boxen kön­nen, bin kei­nen Mil­li­me­ter zurück­ge­wi­chen. Hin­ter­her habe ich so aus­ge­se­hen, als hät­te mich ein Bus über­rollt. Aber das war mir völ­lig egal…«

Irgend­wann aber gab ihm sei­ne Frau zu ver­ste­hen, dass sie ihn ger­ne mal erken­nen möch­te, wenn er von den Wett­kämp­fen nach Hau­se kommt. Also wech­sel­te er mit Ende 20 von der Akti­ven- auf die Betreu­er­sei­te. Und fand von nun an Erfül­lung dar­in, Jün­ge­ren etwas von dem Spi­rit zu ver­mit­teln, den es in die­sem Kampf­sport braucht. Ange­fan­gen bei den Ambi­tio­nen, die sei­ner Über­zeu­gung nach bloß nicht zu nied­rig aus­fal­len soll­ten: »Meis­ter von Neu­kölln oder Bäcker­meis­ter zu wer­den, ist kein Ziel. Das kann nur Olym­pia sein.«

Hier ist aller­dings der gesam­te Ver­band gefragt. Er muss sei­ne größ­ten Talen­te laut Col­bourne so früh und so kon­se­quent wie nur mög­lich för­dern, und das nicht nur auf natio­na­ler Ebe­ne: »Es kann nicht sein, dass einer sei­ne ers­te inter­na­tio­na­le Begeg­nung hat, wenn er zur U19-Euro­pa­meis­ter­schaft geht. Oder bei der WM zum ers­ten Mal einen rus­si­schen Geg­ner boxt. Wir müs­sen die frü­her da rein schi­cken, um zu sehen, wo die Pro­ble­me sind.« Außer­dem wach­sen nun Jahr­gän­ge nach, die bei jeder Vor­ga­be, jedem The­ma erst­mal über­zeugt wer­den und die Work-Life-Balan­ce im Auge behal­ten wol­len. »Man­che möch­ten sich am liebs­ten selbst trai­nie­ren«, stöhnt Col­bourne, »aber das wird im Leis­tungs­sport nicht funktionieren.«

Her­aus­for­de­run­gen gibt es also immer wie­der, und das ist für den uner­müd­li­chen Cha­rak­ter, der ansons­ten als Zustel­ler im Post­be­zirk Kolk­witz (nahe Cott­bus) wirkt, das Bes­te dar­an. Des­halb hat er sei­ne Wochen­stun­den auf neun­zig Pro­zent beschränkt, was ihm sechs freie Wochen mehr im Jahr beschert. Die ver­bringt er vor­zugs­wei­se auf Nach­wuchs­tur­nie­ren – für einen über­schau­ba­ren Ver­pfle­gungs­satz und die übli­che Fahrkostenpauschale.

»Am Ende des Tages zah­le ich eher ins Sys­tem ein«, bilan­ziert Mr. Col­bourne bei einem zwei­ten Café mit leich­tem Grin­sen. »Aber ich brau­che die Auf­ga­be, um mei­nen Kopf anzu­stren­gen. Sie hält mich fit.«


Andrew Col­bourne