Her­wig Butz: Offen blei­ben ist die bes­te Medizin

Portrait-Serie: Wir sind der DBV


Enga­ge­ment hat vie­le Gesich­ter im Box­ver­band: Der eine wirkt als jun­ger Akti­ver, die ande­re als Kampf­rich­te­rin; wie­der ande­re sind Trainer:innen, füh­ren einen Ver­ein oder einen Lan­des­ver­band. In der neu­en Arti­kel­se­rie »Wir sind der DBV« por­trä­tie­ren Bert­ram Job (Text) und Nor­bert Schmidt (Fotos) sehr ver­schie­de­ne Men­schen, die sich alle unter dem Dach des DBV ein­brin­gen – und unse­ren Sport damit leben­dig machen. Im vier­ten Teil stel­len wir den Ring­arzt Her­wig Butz vor.


Die gerahm­ten Fotos im Sprech­zim­mer legen eine Spur nach Ost­afri­ka. Sie zei­gen einen jun­gen Arzt, der unter beschei­de­nen Ver­hält­nis­sen min­der- und voll­jäh­ri­ge Ein­hei­mi­sche behan­delt; mit über­schau­ba­ren, um nicht zu sagen dürf­ti­gen Mit­teln. Dazu kom­men aus dunk­lem Holz geschnitz­te Sta­tu­en, die sich auf den Rega­len ver­tei­len. Auch sie sind aus jener Zeit Mit­te der 1980er Jah­re, in denen ihr Samm­ler im kenia­ni­schen Hoch­land ein Kran­ken­haus gelei­tet hat – weil er es so woll­te. »Ich habe nicht Medi­zin stu­diert, um damit viel Geld zu ver­die­nen«, erklärt er, »son­dern um den Men­schen dort zu hel­fen. Das war tat­säch­lich mein Ziel, auch wenn es heu­te viel­leicht etwas naiv klingt…«

Gut 35 Jah­re spä­ter mag Her­wig Butz, leicht ergraut, ein paar Gebrauchs­spu­ren auf­wei­sen. An der Wir­kung auf sei­ne Umge­bung aber hat sich wenig geän­dert. In der Pra­xis in Georgs­ma­ri­en­hüt­te bei Osna­brück, die er sich mit Sohn Alex­an­der und zwei Kol­le­gIn­nen teilt, strahlt er jetzt, mit 69 Jah­ren, im Zwei­fel noch mehr inne­re Ruhe aus. Und wenn er mal wie­der tage­wei­se aus­schwirrt, um Tur­nie­re oder Trai­nings­la­ger der deut­schen olym­pi­schen Boxer als Medi­zi­ner zu betreu­en, atmen man­che Akti­ve schon bei sei­ner Ansicht auf. »Weil sie dann wis­sen, dass sich da einer ver­nünf­tig küm­mert«, so Butz. »Das krie­ge ich so oft zurück­ge­mel­det, dass ich manch­mal den­ke: Leu­te, so ein­zig­ar­tig bin ich doch gar nicht! Es gibt heu­te auch noch ande­re, sehr kom­pe­ten­te Ärz­te, die sich um die Gesund­heit der Boxer und Boxe­rin­nen kümmern.«

Ver­schie­de­ne Zei­ten, ver­schie­de­ne Wel­ten – und doch immer der glei­che, für ganz viele(s) offe­ne Mensch, der Neu­gier zu sei­nem »Grund­prin­zip« erklärt. Natür­lich führt es gele­gent­lich zu Irri­ta­tio­nen, wenn der gebür­ti­ge Wup­per­ta­ler im Kol­le­gen­kreis sein Zusatz­man­dat im Box­sport erwähnt. Oder, fast noch bes­ser, im Ibben­bü­re­ner Sym­pho­nie­or­ches­ter davon erzählt, wo er mit Lei­den­schaft und Fines­se das Cel­lo streicht – mehr­mals im Jahr auch vor Publi­kum. »Aber damit kann ich gut leben«, sagt er amü­siert. »Und zur Not erzäh­le ich denen dann, dass die deut­sche Sie­ge­rin bei den letz­ten Euro­pa­meis­ter­schaf­ten gera­de Medi­zin studiert…«

Abwechs­lung bebor­zugt: Mor­gens Pra­xis, abends am Ring – oder im Orchester

Tief in ihm drin sitzt eben immer noch ein Unan­ge­pass­ter, der mit Vor­lie­be star­re Erwar­tungs­mus­ter sprengt. Und es wei­ter genießt, dass er nach eige­nem Gus­to zwi­schen meh­re­ren Ebe­nen swit­chen kann. So weiß er längst, dass Kampf­sport­ler nicht so tumb sind, wie es ihnen gele­gent­lich nach­ge­sagt wird. »Man muss fürs Boxen auch Intel­li­genz haben«, ist Butz längst über­zeugt. Und: »Es wird immer so getan, als sei das ein Hau­drauf-Sport. Dabei wird der heu­te wis­sen­schaft­lich beglei­tet. Wenn man das mal mit Fuß­bal­lern ver­gleicht: Die bekom­men einen Vol­ley­schuss vor den Kopf, gehen k.o. und ste­hen nächs­tes Wochen­en­de wie­der auf dem Platz, ohne vor­he­ri­ge Unter­su­chung oder Schonzeit…«

Zuge­ge­ben: Ganz zu Anfang, als einer sei­ner Pati­en­ten, näm­lich der spä­te­re DBV-Prä­si­dent Jür­gen Kyas, ihn über­re­de­te, bei loka­len Wett­be­wer­ben als Ring­arzt zu fun­gie­ren, war Butz nicht durch­weg begeis­tert. Das sport­li­che Talent, dass sich da ent­fal­te­te, war über­schau­bar, und die Orga­ni­sa­ti­on nicht sel­ten »so chao­tisch, dass ich manch­mal die Bro­cken hin­schmei­ßen woll­te. Da kam man­cher um die Ecke und hat­te von nichts ′ne Ahnung…«

Boxer tun sich wirk­lich ein har­tes Trai­ning an, gehen als Solis­ten in den Ring und müs­sen mit Nie­der­la­gen umge­hen. Dahin­ter steckt eine star­ke Mentalität.

Nach der Wen­de pro­fes­sio­na­li­siert sich das olym­pi­sche Boxen jedoch zuneh­mend, auch im medi­zi­ni­schen Bereich. Folg­lich steigt Butz immer tie­fer in die Mate­rie ein. Ent­wi­ckelt als Lan­des­ver­bands­arzt in Nie­der­sach­sen einen Erhe­bungs­bo­gen für Ver­let­zun­gen, ver­fasst in einem Lehr­buch über Schul­ter­ver­let­zun­gen einen Bei­trag zum Boxen und absol­viert den inter­na­tio­na­len Ring­arzt-Kurs des Welt­ver­bands (»das war durch­aus anspruchs­voll«). Dazu wirkt er als betreu­en­der Arzt an gro­ßen Tur­nie­ren. Wie etwa denen der World Series of Boxing (WSB), die ihn von Paris und Polen bis nach Casa­blan­ca und Aser­bei­dschan füh­ren; oder bei der WM 2017 in Ham­burg. »Das ist mei­ne Men­ta­li­tät«, reflek­tiert er sich: »Wenn ich eine Auf­ga­be über­neh­me, will ich es auch gut machen.«

Unbe­dingt respekt – gewach­sen in mehr als drei­ßig Jahren

Inzwi­schen blickt der unor­tho­do­xe Cha­rak­ter auf über drei­ßig Jah­re zurück, in denen er Ath­le­tIn­nen vor ihren Kämp­fen medi­zi­nisch gecheckt sowie nach­her bei Bedarf akut ver­sorgt hat – inklu­si­ve etli­cher Aus­flü­ge mit der Natio­nal­mann­schaft zu Trai­nings­la­gern oder Tur­nie­ren. Das hat ihm unter den Boxern etwa den glei­chen Respekt ein­ge­bracht, den er umge­kehrt auch emp­fin­det: »Die tun sich wirk­lich ein har­tes Trai­ning an, gehen als Solis­ten in den Ring und müs­sen auch mit Nie­der­la­gen umge­hen. Dahin­ter steckt eine star­ke Mentalität.«

Zum Febru­ar 2020 ist auch noch das Amt des Anti-Doping-Beauf­trag­ten im Ver­band dazu­ge­kom­men. In die­ser Funk­ti­on ver­steht Butz sich als »Link zwi­schen DBV und Nada«, wel­cher die Inter­es­sen der natio­na­len Agen­tur in den Ver­band hin­ein ver­mit­telt und umge­kehrt. Das hat auch mit heh­ren Auf­ga­ben wie Vor­trä­gen zum The­ma oder aku­ter Bera­tung der Akti­ven zu tun. Noch häu­fi­ger aber geht es im All­tag um Rou­ti­ne­ar­bei­ten. Dann sind Auf­ent­halts- und Kader­mel­dun­gen oder auch die obli­ga­ten Ath­le­ten­ver­ein­ba­run­gen ein­zu­sam­meln bzw. wei­ter­zu­rei­chen, im Zwei­fel kurz vor Dead­line. Das ist müh­sa­me, jedoch unab­ding­ba­re Klein­ar­beit: »Es hän­gen ja auch För­der­mit­tel dran, und die Ver­bands­spit­ze weiß genau, wie wich­tig Anti­do­ping-Pro­gram­me in die­sen Zei­ten sind.«

Aber zu viel wird das in der Sum­me bis heu­te nicht, und was gäbe es rück­bli­ckend zu bereu­en? Über die Jah­re hat Her­wig Butz bei sei­nem unge­wöhn­li­chen Man­dat »vie­le groß­ar­ti­ge Men­schen« ken­nen­ge­lernt, »das sind defi­ni­tiv kei­ne Leu­te von der Stan­ge.« Die­se Begeg­nun­gen haben sein Leben »etwas far­bi­ger gemacht«. Ähn­lich wie sei­ne Auf­trit­te als Cel­list, »da ste­hen sie auch auf der Büh­ne und müs­sen ablie­fern, ohne dau­ernd Feh­ler zu machen. Sonst wird das Publi­kum ein biss­chen sauer…«

»Letz­ten Endes ist alles eine Fra­ge von ja oder nein«, resü­miert er. »Und wenn du immer nur sagst ›ach nee, das trau ich mir nicht zu‹ oder ›dafür hab′ ich kei­ne Zeit‹, fällt eine Tür nach der ande­ren zu. Und dann wird das Leben ein biss­chen eintönig.«


Her­wig Butz