Andrea Pla­cke: Es bleibt in der Familie

Wir sind der DBV

Als sie die ers­ten klei­nen Diens­te für den Ver­ein über­nahm, dem sie heu­te vor­steht, war Andrea Pla­cke 13 Jah­re alt. Sie tipp­te auf der Schreib­ma­schi­ne ihrer Eltern »im Zwei-Fin­ger-Such­sys­tem« Berich­te von den Begeg­nun­gen zwi­schen dem Box­sport-Ver­ein Ibben­bü­ren e.V. und sei­nen sport­li­chen Geg­nern, um sie als­bald in die Redak­ti­on der Lokal­zei­tung zu tra­gen. Das war im Prin­zip ein Ehren­amt, »aber wenn das bei­geleg­te Foto mit abge­druckt wur­de, krieg­te ich fünf Mark«, erin­nert sie mit einem Leuch­ten in den Augen, »das war dann Taschengeld.«

Acht­und­drei­ßig Jah­re spä­ter sind noch ein paar unent­gelt­li­che Auf­ga­ben hin­zu­ge­kom­men. Die Frau mit den vol­len, leuch­ten­den Haa­ren ist inzwi­schen Vor­sit­zen­de im Box­ver­ein, und das ist in der Klein­stadt im Teck­len­bur­ger Land, auf hal­ber Stre­cke zwi­schen Osna­brück und Rhei­ne gele­gen, nicht geheim geblie­ben. »Jeder in Ibben­bü­ren weiß: Die Rot­haa­ri­ge ist die vom Boxen«, sagt sie eben­so amü­siert wie ein­ver­stan­den. Schließ­lich wird ihr Enga­ge­ment mit »die­sem Gefühl, ein Teil davon zu sein«, ent­lohnt — und das ist nicht die kleins­te Währung. 

Außer­dem fun­giert sie als Geschäfts­füh­re­rin des West­fä­li­schen Ama­teur­box-Bezirks (WABB), wo sie auch wie­der alles Mög­li­che für der­zeit 73 Ver­ei­ne zwi­schen Dort­mund und Rhei­ne erle­digt. Das macht nicht immer nur Spaß, »aber wir sind jetzt ein rich­tig gutes Team gewor­den, und wenn ich will, dass mein Boxen wei­ter­geht, muss sich doch auch jemand fin­den, der das macht.« Jemand wie Andrea Pla­cke eben, die das Feu­er für den Box­sport weni­ger erlernt als »prak­tisch geerbt« hat, wie sie formuliert.

Mein Boxen: Das hat auch Wil­fried Pla­cke oft gesagt, wenn er durch das ehe­ma­li­ge Berg­ar­bei­ter-Städt­chen (der Stein­koh­le-Abbau wur­de Ende 2018 ein­ge­stellt) ging. Er war erst stol­zer Akti­ver, dann Trai­ner des 1931 gegrün­de­ten Ver­eins und füll­te knapp sech­zig Jah­re lang alle erdenk­li­chen Vor­stands­pos­ten aus — was eben gera­de anfiel. So wuchs Toch­ter Andrea völ­lig selbst­ver­ständ­lich in den Kampf­sport hin­ein: »Ich bin mit Pam­pers am Po durch den Ring gekrab­belt. Zuhau­se lagen immer irgend­wo Box­hand­schu­he rum, die Schrän­ke waren voll mit Trainingssachen.«

Das Erbe: Wei­ter­füh­ren, was der Vater hinterließ

Als der im gan­zen Kreis bekann­te Vater im März 2015 ver­starb, ging die Stim­mung im BV schlag­ar­tig nach unten. »Müs­sen wir den Ver­ein jetzt zuma­chen?«, frag­te Udo Sper­lich, einer der erfah­re­ne­ren Trai­ner, der selbst auf 280 Kämp­fe kommt. »Müs­sen wir nicht«, erwi­der­te Andrea Pla­cke spon­tan — und nahm die Din­ge selbst in die Hand. Wur­de ers­te Vor­sit­zen­de und bald von Jes­si­ca, Udos Toch­ter, unter­stützt; die brach­te sich als ihre Stell­ver­tre­te­rin ein. Mehr Vor­stand brauch­te es erst­mal nicht, und auch nicht viel Pala­ver: »Wenn etwas ist, schrei­be ich Jes­si­ca auf Whats­App. Wir brau­chen nicht jedes Mal eine Vorstandssitzung.«

Ich brau­che kei­ne Welt­meis­ter. Wäre zwar schön, wenn mal einer dabei raus­kommt. Haupt­sa­che aber bleibt, dass sich alle akzep­tiert füh­len, so wie sie sind, und ich hier noch jeden mit sei­nem Namen anspre­chen kann.

Die Ach­se ver­ant­wort­li­cher Frau­en wird durch Fener Ay, ein­zi­ge Trai­ne­rin mit B‑Lizenz und mehr­fa­che deut­sche Meis­te­rin, wir­kungs­voll ver­stärkt. Gemein­sam drückt das gut ein­ge­spiel­te Trio dem Ver­eins­le­ben einen betont sozia­len Stem­pel auf. Das ist auch wäh­rend des Trai­nings in der Lud­wig­hal­le, bei der gleich­na­mi­gen Grund­schu­le, schnell zu spü­ren. Da erle­digt Pla­cke von einem klei­nen Kabuff mit Tisch aus, was so alles gefor­dert wird. Ist mal Schrift­lei­te­rin, die sich um Kampf­päs­se küm­mert, mal Ansprech­part­ne­rin für Eltern – und auch mal Bezugs­per­son für frei­dre­hen­de Trai­ner­kin­der, die am liebs­ten quer durch die Hal­le toben.

Das ist im Zwei­fel nicht der Drill, den purer Leis­tungs­sport braucht, wie sie gern ein­räumt. »Dafür sind wir ein sehr fami­liä­rer Ver­ein, das ist mir wich­ti­ger. Ich brau­che kei­ne Welt­meis­ter. Wäre zwar schön, wenn mal einer dabei raus­kommt. Haupt­sa­che aber bleibt, dass sich alle akzep­tiert füh­len, so wie sie sind, und ich hier noch jeden mit sei­nem Namen anspre­chen kann, wenn ich in die Hal­le komm’. Das gibt mir selbst das Gefühl, will­kom­men zu sein.«

For­dernd ist es trotz­dem. Wenn die Ange­stell­te der Dia­ko­nie in Teck­len­burg nach einem inten­si­ven Arbeits­tag end­lich wie­der in Ibben­bü­ren ist, wür­de auch sie gern erst­mal aus­span­nen. Statt­des­sen fährt sie jeden Mon­tag und Frei­tag gleich mit dem Bus durch, um recht­zei­tig auf der Hal­le zu sein. Dazu kom­men Sonn­tag­vor­mit­ta­ge, wenn die Fort­ge­schrit­te­nen für sich trai­nie­ren, sowie Ver­gleichs­kämp­fe in allen Alters­klas­sen, irgend­wo zwi­schen Müns­ter und den Nie­der­lan­den (eige­ne Ver­an­stal­tun­gen hat es schon län­ger nicht mehr gegeben).

Das Selbst­ver­ständ­nis: Sich ein­brin­gen, damit was geschieht

Nicht dabei zu sein, ist für Pla­cke den­noch kei­ne Opti­on. Es sei denn, sie hät­te Kar­ten für ein Musi­cal oder eine Vor­stel­lung im hei­mi­schen ›Bür­ger­haus‹ ergat­tert, wo sie in der Spiel­zeit die Gar­de­ro­be oder den Ein­lass macht. Sich ein­zu­brin­gen, ist in der Klein­stadt ja noch wich­ti­ger als anders­wo, wie sie über­zeugt ist, »sonst fin­det am Ende nichts statt.« Außer­dem ist das »etwas, was ich mag: Mit­ten im Gesche­hen und in Anfüh­rungs­stri­chen wich­tig zu sein. Ein Räd­chen im gro­ßen Getriebe…«

Auch was das bis­wei­len raue Trei­ben im Ver­ein betrifft, hat »der unsport­lichs­te Mensch der Welt« (Pla­cke über Pla­cke) über die Jahr­zehn­te jeg­li­che Berüh­rungs­angst ver­lo­ren: »Ich bin heu­te sehr ent­spannt, wenn da irgend­wo eine Nase blu­tet.« Und gleich­zei­tig Respekt gewon­nen für die enor­me Kon­di­ti­on und Tech­nik, die ein Faust­kämp­fer im Lau­fe der Zeit erwirbt. So kön­nen halb­star­ke Anfän­ger, die nach den ers­ten Ein­hei­ten gleich Hand­schu­he anzie­hen wol­len, sie heu­te nur amü­sie­ren: »Die füh­len sich ein biss­chen wie Rocky. Aber dann ste­hen sie nach zwan­zig Sekun­den da, schnap­pen nach Luft und mer­ken, dass dazu noch fünf­und­acht­zig ande­re Sachen gehören…«

Wirk­lich läs­tern will die fried­fer­ti­ge See­le jedoch über kei­nen der Youngs­ter: Am Ende ste­hen sie für die nächs­te Gene­ra­ti­on in ihrer 120 Mit­glie­der star­ken, ste­tig zu erneu­ern­den Box­fa­mi­lie. Die kann neue Akti­ve eben­so gut wie neue Ehren­amt­li­che gebrau­chen. Die Zwei-Frau­en-Lösung im Vor­stand mag eine net­te Geschich­te für die Lokal­pres­se sein, die von der ›Frau­en­power im Män­ner­sport‹ schwärmt. Trotz­dem ist sie »auf lan­ge Sicht nicht zukunfts­fä­hig«, wie sie es selbst einschätzt.

»Da müss­te eigent­lich noch jemand ein­stei­gen«, sagt Andrea Pla­cke. Nur eben nicht eine/r von denen, die bloß ernannt wer­den wol­len, um mit einer wei­te­ren Feder am Hut durch den Ort zu stol­zie­ren, son­dern »was Rich­ti­ges«. Sol­che Exem­pla­re, weib­lich oder männ­lich, wer­den in die­sen Tagen aller­dings nicht nur in Ibben­bü­ren drin­gend gesucht. 


Andrea Pla­cke