Dr. Tho­mas Rei­sin­ger: Aka­de­mi­ker mit Sinn für die Basis

Wir sind der DBV

Vie­le Trai­nings­ge­rä­te sind es nicht, die er im Kel­ler sei­nes Hau­ses in Ingel­heim, einer Klein­stadt im Land­kreis Mainz-Bin­gen, wei­ter­hin vor­hält. Aber mehr als Sand­sack und Schlag­pols­ter, Spring­seil und Box­hand­schu­he braucht Dr.Thomas Rei­sin­ger für die ›wil­de Stun­de‹ des Tages ohne­hin kaum. Der Schweiß fließt auch so in Strö­men, und was er da leis­tet, ist für sei­ne Zwe­cke gut genug. »Ich bin ja nie so ein aus­ge­spro­che­ner Wett­kampf-Typ gewe­sen«, räumt er frei­mü­tig ein, ohne dass es auch nur im Ansatz bedau­ernd klingt.

Darf so einer als Brei­ten­sport-Obmann im (erwei­ter­ten) Vor­stand des Deut­schen Box­sport-Ver­bands etwas zu sagen haben? Führt man sich die wah­ren Kräf­te­ver­hält­nis­se vor Augen, soll­te er das sogar unbe­dingt. Es ist schließ­lich so, dass nur jedes zehn­te Mit­glied in jenem medi­al aus­ge­leuch­te­ten Bereich aktiv ist, der tat­säch­lich zum Leis­tungs­sport gehört. Wäh­rend die übri­gen neun­zig Pro­zent die Ange­bo­te der knapp 800 Mit­glieds­ver­ei­ne nut­zen, um sich halb­wegs in Best­form zu brin­gen – oder das mit­tel­präch­ti­ge Niveau in ver­ein­ter Run­de zu halten.

Dass die meis­ten die­ser Fit­ness- und Frei­zeit­bo­xer sel­ten bis nie an einem ›rich­ti­gen‹ Wett­be­werb teil­neh­men, hat aller­dings nicht nur mit gerin­ger Moti­va­ti­on zu tun. Es liegt auch an einem auf­fäl­li­gen Man­gel an Gele­gen­heit, den Rei­sin­ger, Jahr­gang 1968, mit neu­en Ange­bo­ten behe­ben möch­te. Der pro­mo­vier­te Phy­si­ker aus dem Lan­des­ver­band Rhein­land, der auch die A‑Trainerlizenz besitzt, bringt sich im DBV als Obmann für Brei­ten­sport ein. Und küm­mert sich als sol­cher aus vol­ler Über­zeu­gung um basis­na­he For­men und For­ma­te für jeder­mann, vom Leicht­kon­takt- bis zum Masterboxen.

»Es geht dar­um, Bei­trä­ge zu leis­ten, die den gesam­ten Ver­band nach vor­ne brin­gen«, umreißt er sein Man­dat. Und: »Mein Job ist nicht, Boxen zu ver­hin­dern, son­dern Boxen zu ermöglichen.«

So wie Anfang ver­gan­ge­nen Jah­res, als Rei­sin­ger die ers­te deut­sche Meis­ter­schaft im Mas­ter­bo­xen anschob. Man­cher hat­te im Vor­feld gezwei­felt, dass man sich die Duel­le der ›alten Kna­ben‹ zwi­schen 40 und 60 über­haupt anse­hen kann. Aber dann war in der Hal­le des Ham­bur­ger Lan­des­ver­bands in Win­ter­hu­de ordent­lich was los, wie der Initia­tor mit leuch­ten­den Augen erin­nert: »Die Leu­te hat­ten Spaß, es waren gute Kämp­fe dabei, und auch die Ver­lie­rer waren Sie­ger. Denn das Wesent­li­che ist doch, die­sem Stress im Ring stand­zu­hal­ten. Wie vie­le Sport­ar­ten gibt es, wo sich die Kon­tra­hen­ten so atta­ckie­ren und danach in den Armen liegen?«

Lei­den­schaft fürs Boxen – unab­hän­gig von der Leistungsebene

Eine gewis­se, über vie­le Jah­re gewach­se­ne Fas­zi­na­ti­on schwingt da sicher mit – nur gilt sie bis heu­te eher dem Faust­kampf als sol­chem als der abso­lu­ten Leis­tungs­spit­ze. Den Pro­fi­bo­xern etwa schaut der Ange­stell­te einer wis­sen­schaft­li­chen Unter­neh­mens­be­tra­tung »nicht mal am Fern­se­her« zu. Und an der olym­pi­schen Vari­an­te begeis­tert ihn vor allem, »zu sehen, wie Men­schen von dem Sport pro­fi­tie­ren. Das betrifft nicht nur die Fit­ness, son­dern auch Psy­che, Selbst­wert­ge­fühl, Kon­di­ti­on. Da habe ich tol­le Sachen erlebt, mit Jugend­li­chen wie mit Älte­ren, und das ist das, was mich so bewegt…«

Das Wesent­li­che ist doch, die­sem Stress im Ring stand­zu­hal­ten. Wie vie­le Sport­ar­ten gibt es, wo sich die Kon­tra­hen­ten so atta­ckie­ren und danach in den Armen liegen?

»Deut­scher Meis­ter wirst du nicht mehr«, hat­te Heinz Jost, ein vom Rhein­gau bis in die Pfalz gerühm­ter Trai­ner, dem Stu­den­ten bald gesagt, nach­dem der in Mainz aktiv wur­de – »aber viel­leicht ein guter Trai­ner«. Die­sen Weg schlug Rei­sin­ger auch ein: »Ich woll­te ein­fach mehr wis­sen über die­sen Sport«. Weil er aber »nicht der Typ« ist, »der am Wochen­en­de mit den Jugend­li­chen auf Tur­nie­re fährt«, lei­te­te er statt­des­sen lie­ber eine Trai­nings­grup­pe mit jugend­li­chen Pro­blem­fäl­len. Dabei erfuhr er, »was sich an Respekt und Dis­zi­plin durch Boxen ver­mit­teln lässt«, erwarb in loser Fol­ge die Trai­ner­li­zen­zen bis zur A‑Lizenz sowie die als Kampf­rich­ter und betei­lig­te sich spä­ter am Ausbildungswesen.

Lei­den­schaft für Inhal­te – ohne den Drang, sich wich­tig zu machen

Die sozia­le Intel­li­genz ist schließ­lich nur das eine aus­ge­präg­te Talent des mei­nungs­freu­di­gen Wis­sen­schaft­lers. Ein wei­te­res liegt dar­in, neue Kon­zep­te und Ideen in schrift­li­che Form zu brin­gen. Das nutzt Rei­sin­ger, als er 2010 im Aus- und Fort­bil­dungs­aus­schuss des DBV die anti­quier­te Lehr­ord­nung so über­ar­bei­tet, »dass ich sie auch ver­ste­he«. Oder wenn er mit ande­ren die Wett­kampf­be­stim­mun­gen neu fasst sowie sich in Sat­zungs- und Lehr­kom­mis­sio­nen enga­giert. Also über­all dort wirkt, wo es um Inhal­te geht anstatt dar­um, »sich wich­tig zu füh­len oder wie ein Funk­tio­när alter Schu­le zu agieren«.

Mit noto­ri­schen Skep­ti­kern hat er ja man­che Mühe gehabt, als er die Wett­be­wer­be für Jeder­mann anschie­ben woll­te: »Die kom­men in der Regel aus dem Leis­tungs­sport, und dort blei­ben sie gedank­lich auch.« Dabei könn­ten sol­che For­ma­te ein Stück Zukunft für die Ver­ei­ne sichern, wie er betont. Die­se müss­ten am Wochen­en­de bloß ihre Hal­len auf­schlie­ßen, um da zum Bei­spiel Mas­ter­bo­xen anzu­bie­ten – und könn­ten auch bei mode­ra­ten Start­ge­büh­ren schwar­ze Zah­len schrei­ben. Dafür ein Bewusst­sein zu schaf­fen, war aller­dings ein län­ge­rer Weg, auf dem Rei­sin­ger auch »Gegen­wind« ver­spür­te. Ähn­lich wie bei der Fra­ge, ob man zu sol­chen Anläs­sen mit ande­ren Ver­an­stal­tern zusam­men­ar­bei­ten darf.

»Ich sage immer, lasst es uns doch gestal­ten, bevor es uns gestal­tet«, erklärt Rei­sin­ger. Und: »Ich fin­de Sport ver­eint, als Gemein­schaft, am bes­ten. Trotz­dem kön­nen wir auch Leu­ten eine Büh­ne bie­ten, die sonst ins Fit­ness­stu­dio gehen. Wir haben die Kampf­rich­ter, wir haben die Trai­ner und die Ver­ei­ne, die das machen kön­nen. Und dass wir uns nicht mehr abschot­ten kön­nen, ist auch klar.«

Dann ist der ›Dot­to­re‹ auch schon beim Hoch­schul­bo­xen, um das er sich zusam­men mit DBV-Sport­wart Det­lef Jentsch küm­mert. Und kommt von dort auf das Leicht­kon­takt­bo­xen, dem ›boxe édu­ca­ti­ve‹, das nicht zuletzt für den Schul­sport ein »tol­les Trai­nings­mit­tel« sein könn­te. Da ist auch etwas in der Mache, wie er andeu­tet. Doch hat der Tag lei­der nur 24 Stun­den, und nicht jede davon kann und will er fürs Ehren­amt geben – auch wenn er beim BC Bad Kreuz­nach nach­her noch eine Grup­pe Jugend­li­cher trainiert.

»Ich lie­be die­sen Sport«, sagt Tho­mas Rei­sin­ger, »aber er ist nicht mein ein­zi­ger Lebens­in­halt. Und wenn ich mor­gen nicht mehr im Vor­stand bin, mache ich trotz­dem wei­ter mein Trai­ning, fah­re mit dem Wohn­mo­bil durch die Gegend und lese Bücher ohne Ende.«


Dr. Tho­mas Reisinger