
Golovkin ist schon cool, keine Frage, sagt Dennis Balko, während er sich fürs nächste Training vorbereitet. »Aber jeder Boxer sollte nicht so sehr auf andere, sondern auf sich selbst achten.« Das kann Daniel Balko, der schon die Hände gewickelt hat, nur unterstreichen. »Man sollte seinen eigenen Stil finden und entwickeln«, sagt er im Brustton der Überzeugung. Und wenn das fast so klingt wie ›Ich schließe mich meinem Vorredner an‹, so ist das wahrscheinlich kein Zufall. Sondern in dem Fall eine Frage der Blutsverwandtschaft.
Die schlaksigen, hellblonden Brüder sind gerade fünfzehn Monate nacheinander geboren und haben sich annähernd gleichzeitig auf eine spannende Reise gemacht. Sie soll von Neckarsulm, wo sie aufgewachsen sind, möglichst bis in die Weltelite der Senioren, also nach Olympia führen. Nicht 2024 in Paris, aber viereinhalb oder achteinhalb Jahre später, sofern es in Los Angeles bzw. in Brisbane wieder ein Boxturnier gibt. Das ist jedenfalls »unser größter Traum«, wie Dennis, der Ältere, in seiner verbindlichen Art erklärt – auch wenn sie laut Daniel erstmal »Schritt für Schritt« nach vorne schauen.
Und etwas an der Art, wie beide sich im Ring bewegen, ist offenbar vielversprechend. Sonst hätte der DBV sie mittlerweile kaum im Nachwuchskader 1 der Bundeswehr untergebracht. Sowie Dennis im Vollzeitinternat des Olympiastützpunkts Heidelberg einquartiert, damit er in dessen bestens ausgestatteter Boxhalle so oft wie möglich trainieren kann. Angeleitet von Stützpunkt-Coach Gregory Tolkovets und Alexander Balko, dem Vater, der zum Nachmittag auch Daniel mitbringt – und so einen Teil seines Lebens auf der A6 zwischen Heilbronn und Heidelberg verbringt.
Da kommen übers Jahr rund 40.000 Kilometer auf den Tacho, schätzt der aus der früheren Sowjetunion zugewanderte Sportenthusiast und leidenschaftliche Trainer. »Aber ich empfinde das nicht als Anstrengung. Es hat einfach Spaß gemacht, dass wir in der Familie etwas zusammen machen können, und so bin ich mit denen gewachsen…« So weit, dass er nun fest angestellter Landestrainer ist und seine Söhne mehrfache Schüler- und Jugendmeister des Boxverbands Baden-Württemberg (BVBW) wurden. Nicht zu reden von ersten Erfolgen an internationalen Nachwuchsturnieren.
Erste, internationale Vergleiche: Wichtig, um »das eigene Level« abzugleichen
Das sind kostbare Erfahrungen, ist der 17-jährige Dennis überzeugt: »Du weißt dann, wie das Niveau in anderen Ländern ist, und kannst das mit deinem eigenen Level abgleichen… Im Boxen muss man ja immer weiter verfeinern, verfeinern, verfeinern.« Außerdem macht einen jede Auszeichnung stärker, wie der ein Jahr jüngere Daniel erlebt haben will. Allen voran die beiden Silbermedaillen, die er zwei Mal in Folge (2022 und ´23) bei den Europameisterschaften der U17 erobern konnte. Nach Finalkämpfen, die er für neutrale Beobachter nicht unbedingt verloren hat.
»Ich hab´ zu Hause so´n Teil an der Wand, wo alle Medaillen hängen«, sagt Daniel. »Da raufzuschauen, macht mich schon stolz. Gleichzeitig motiviert es mich, noch mehr davon zu holen.«
Boxen macht man für sich selbst. Wenn du gewinnst, ist es allein dein Erfolg. Wenn du verlierst, ist es allein deine Niederlage. (Dennis Balko)
Die nächste Gelegenheit naht in wenigen Tagen. Dann beginnen in Erewan, Hauptstadt Armeniens, die ersten U17-Weltmeisterschaften nach achtjähriger Pause. Dort ist der eher zurückhaltende Youngster Teil des elfköpfigen Nachwuchsteams, das die deutschen Farben vertritt, sowie einer der größten Hoffnungsträger. Gregory Tolkovets will ja nicht viele Talente in dem Alter erlebt haben, die so locker bis cool in den Ring steigen; das zeuge von einer guten, belastbaren Mentalität. Ohne die funktioniert es aber auch nicht, wie der Schützling findet.
»Boxen macht man für sich selbst«, ist Daniel überzeugt. »Wenn du gewinnst, ist es allein dein Erfolg. Wenn du verlierst, ist es allein deine Niederlage.«
Erste ›Home Base‹: Eine alte Scheune in Neckarsulm
Mannschaftssport war nett: Beide haben gern Fußball gespielt, auch im Verein. Doch so richtig gefunkt hat es erst ›in der Scheune‹. Das meint einen alten Schuppen in Neckarsulm, in dem Alexander Balko eines Tages Trainingsgeräte und einen Kleinring installierte, um mit seinen Söhnen eine eigene Boxgruppe zu gründen – alle drei waren mit dem Training in lokalen Vereinen nicht richtig zufrieden. Bald kamen erste Freunde, dann erste Erfolge dazu. Die gefielen auch dem Bürgermeister, wie Alexander erzählt: »Er hat uns dann praktisch legalisiert, indem er uns eine richtige Halle zur Verfügung stellte.«
Heute ist der Olympische Boxstall Hardthausen e.V. ein sehr aktiver von rund 110 Vereinen im Landesverband. Dort hat ›der Alex‹, wie ihn viele rufen, seine Söhne »vielleicht sogar mehr gefordert« als die anderen – aber nicht um jeden Preis getriezt. Der Drive, sich ständig zu verbessern, kam und kommt bei ihnen von innen heraus, wie er betont: »Wichtig ist, dass sie es zunächst bis in die Elite schaffen, da fängt das richtige Boxen erst an. Dann wird man sehen, ob sie noch ein paar Gänge hochschalten können. Und ich begleite sie dabei, so gut ich kann…«
Das Pensum der beiden Gymnasiasten liegt schon jetzt weit über dem, was andere in ihrem Alter leisten. Das gehört für Dennis jedoch »zum Sportlerleben dazu«: »Wir machen es ja auch, weil es uns Spaß macht.« Und zwar jeder auf seine Art: »Daniel ist flinker auf den Beinen, er schlägt mit höherer Frequenz. Ich setze noch mehr Timing in die einzelnen Aktionen.« Grundsätzlich hat der direkte Vergleich allerdings eine klar definierte, rote Linie: »Zusammenarbeiten und leichtes Sparring: ja. Gegeneinander kämpfen: nein.«
Wie weit ›Die drei Balkos‹ im globalen Boxzirkus kommen, ist Stand jetzt noch nicht abzusehen. Fest steht nur, dass sie schon jetzt ein Beispiel für Konsequenz und Drive abgeben, das unterm Dach des DBV weithin leuchtet. Und im Elternhaus. »Ich wäre der glücklichste Trainer und Vater, wenn sie ihre Ziele erreichen können«, sagt Alexander. »Glücklich für sie.«