
Engagement hat viele Gesichter im Boxverband: Der eine wirkt als junger Aktiver, die andere als Kampfrichterin; wieder andere sind Trainer:innen, führen einen Verein oder einen Landesverband. In der neuen Artikelserie »Wir sind der DBV« porträtieren Bertram Job (Text) und Norbert Schmidt (Fotos) sehr verschiedene Menschen, die sich alle unter dem Dach des DBV einbringen – und unseren Sport damit lebendig machen. Im dritten Teil stellen wir den Präsidenten des bayerischen Landesverbandes Karl-Heinrich Pauckner vor.
Eigentlich kreuzen seine Gäste ein paar Tage zu spät auf; das hat Karl-Heinrich Pauckner schon vor deren Ankunft entschieden. Die ›Kirwa‹, also das Kirchweihfest, ist in Weißenburg zwar weiter in full swing, wie man heute so sagt, aber das traditionelle Boxen im Festzelt gerade vorbei. Und das sollte einer schon mal erlebt haben, denn so viel Stimmung rund um den Sport ist in der geschichtsträchtigen Kleinstadt in Altmühlfranken, zwischen Nürnberg und Ingolstadt, nicht alle Tage. Was nicht zuletzt auch heißt: So viel Aufmerksamkeit und Begeisterung.
»Da ist bei uns natürlich a ganz andere Stimmung«, sagt der 61-jährige mit den kräftigen Schultern in unverkennbar fränkischem Zungenschlag. »Und meines Erachtens gehört das zum Boxsport einfach dazu. Gerade in unseren Breiten…«
Der Ring und das Zelt, das Städtchen und die Region: Für ›den Heiner‹, wie ihn hier ein jeder nennt, hat das sehr früh eine Einheit gebildet. In ihrem Radius ist er zu einem unverkennbaren Dauerbrenner in Sachen Boxsport geworden, der im Schnitt alle fünfzehn Jahre die Rolle zu wechseln wusste. Vom veranlagten Athleten über den engagierten Trainer und das Ausschuss-Mitglied bis zum Vorstand (2005–22), was den BC Weißenburg betrifft; sowie vom Sportwart (12 Jahre) bis zum jetzigen Amt als Präsident des Bayerischen Amateur-Boxverbands, dem BABV (ab 2020) – einem gewichtigen Reich aus über 120 Vereinen und mehr als 13.000 Mitgliedern.
Nicht den Chef spielen, sondern Verantwortung übernehmen – und teilen
Mit der ›Machtposition‹, die das angeblich bedeutet, sollte man dem kontaktfreudigen Charakter allerdings nicht kommen. »Wenn ich sowas mach’, muss ich mich auch selbst fordern«, ist er überzeugt. »Also net Amt übernehmen und sagen, jetzt bin ich´s, sondern mit anderen über Verbesserungen sprechen…« In dem Sinne hat er in dem 1950 gegründeten Verein wie im bald hundertjährigen Verband immer versucht, ein verlässliches Team zu finden. Das ist für ihn das A und O: »Ich sehe mich nicht als Chef, sondern einfach als Zahnrad im Getriebe. Nur muss einer eben den Hut aufhaben…«
Manchmal ist das ganze E‑Mail-Geschreibe Quatsch. Man muss miteinander reden und sich in die Augen schauen, dann kommt man weiter.
Ein Funktionär also, der keinen Weihrauch um sich braucht? Es wäre nicht die einzige Abweichung vom Klischee in dieser Vita. Der ausgemachte »Zappelphilipp« (Pauckner) war eher quirlig als besonders stark, als er im Friseurstuhl den Marschbefehl erhielt. »Du kommst´ jetzt amol zum Boxen«, sprach Otto Kittsteiner, statdtbekannter Coiffeur und Faustfechtlehrer, ein klares Wort. Und sorgte persönlich dafür, dass der Bua bald ablieferte, meist im Mittel- bis Halbschwergewicht. Etwa die Titel eines bayerischen und eines süddeutschen Meisters (1977–79) sowie eines deutschen Vize-Meisters der Junioren (1979).
»Und dann haben´s mich natürlich gekannt«, erinnert Pauckner mit einem breiten Lachen. »Da ging es im Zelt jedes Mal los: Hei-ner, Hei-ner, Hei-ner!«
Nach der Karriere sorgt Pauckner mit Kittsteiner dafür, dass man weiter von dem kleinen Club im langen Schatten des BC Eichstätt spricht. Zusammen führen sie Peter Stettinger (Schwergewicht), Gunnar Lexow (Fliegengewicht) sowie Heinrich Böll (Halbfliegengewicht) zur deutschen Meisterschaft. Und begleiten Alexander Sipos, den Vize-Meister (Weltergewicht), bis an die Schwelle zur Profikarriere. Diese Meriten sind für ihn selbst der schönste Lohn, »dann überwiegt die Freude gegenüber der Arbeit. Doch der Spaß ist sowieso immer da. Wenn es nicht so wäre, würde ich morgen aufhören.«
Nicht warten, sondern angreifen – und überall die Begegnung suchen
Außerdem hat Pauckner internationale Begegnungen initiiert, die er und seine Eleven als echte Highlights erinnern. Dazu gehören Vergleiche mit Staffeln aus London und Moskau, die sich jeweils mit Gegeneinladungen revanchierten. Sowie Ausflüge nach Borkum und in die Schweiz, nach Tirol und an die Ostsee. »Nachts in Weißenburg gestartet, morgens zum Wiegen in Stralsund«, fällt ihm ein. Das waren »tolle Geschichten, und wertvoller als alles Geld der Welt, glaubt´s mir!« Nicht zu reden von den Boxevents im Zelt, zu denen er sein breites Netz an Kontakten aktiviert; auch »der Rocky«, also Graciano Rocchigiani sei zur ›Kirwa‹ schon mal da gewesen.
Und wie er dann so erzählt, von dem einen Hölzchen auf das andere Stöckchen kommend, versteht man recht bald, dass es dabei eher um das Gegenteil von purer Selbstdarstellung geht. Es ist wohl die große Kunst des Teamplayers, dass er nicht weniger als ein komplettes Leben um seinen Sport geflochten hat — zu seiner spürbaren Freude wie zu der von anderen. Das war so nur möglich, weil seine Frau Simone stets mitgezogen hat: Eine der ersten Kampfrichterinnen im Landesverband, die ihn nie gefragt hat, warum er so viel Zeit mit dem Boxen verplempere. Nicht mal zu den Weltmeisterschaften 2017 in Hamburg, wo er den Transport der AthletInnen, Offiziellen und VIP´s organisiert hat – ehrenamtlich, natürlich.
»Das gibt dir auch die Stärke, sowas zu tun«, betont er. »Eine andere Frau sagt wahrscheinlich, du fährst jetzt gefälligst mit mir in den Urlaub…«
Die Leitung des Boxclubs hat Pauckner inzwischen abgegeben, damit sich ein neues, jüngeres Team zusammenfinden kann. Er wollte ja nicht zu denen gehören, »die zu lange im Chefsessel sitzen und nicht abgeben können.« Wieviel Zeit ihn die Arbeit für den Landesverband kostet, möchte er nicht so genau überschlagen: »Ich sag immer, das ist meine Tätigkeit für die Gesellschaft.« Wichtig ist ihm nur, dass auch in einer sich wandelnden Gesellschaft miteinander geredet wird, damit man gemeinsam um die Kurve kommt – was er im Hauptberuf eines Fahrlehrers tagtäglich mit seinen Schülern praktiziert.
»Heutzutage wird ja wenig gesprochen«, sagt er noch. »Dabei ist das ganze E‑Mail-Geschreibe manchmal Quatsch. Man muss miteinander reden und sich in die Augen schauen, dann kommt man auch weiter… Es geht ja nur um ein Ziel, und das ist der Sport.«