Gewichtsklasse bis 75 kg
- Sarah Scheurich ist 1993 geboren und trainiert am Bundesstützpunkt Schwerin.
- Das europäische Qualifikationsturnier im März 2020 in London wurde coronabedingt abgebrochen, bevor sie ihren ersten Kampf hatte.
- Wenn das Turnier zum Stand seines Abbruchs fortgesetzt wird, wird sie wieder dabei sein.
Das Athletinportrait
Es gibt Athletinnen, für die der Sport eine echte Bereicherung ist. Für Sarah Scheurich (Jg.1993) war er im Zweifel noch mehr: Eine Rettung, sozusagen. Als ihr Vater, ein ehemaliger Kanute, sie in Mecklenburg-Vorpommern zu einem Jiu-Jitsu-Kurs bringt, ist sie fünf Jahre alt und als »krasses ADHS-Kind« diagnostiziert, wie sie unumwunden formuliert. Das bedeutet jede Menge Schwierigkeiten, auch in der Schule: »Ich konnte nichts alleine, Mutti hat alle Hefte geordnet. Ich war so konfus im Kopf – deswegen tat mir auch der Sport unfassbar gut.«
Erste Boxerin im Sportgymnasium
Selbst-Verteidigung also, die Selbstfindung und ‑behauptung wird. Es dauert nämlich nur ein paar Jahre, bis das manchmal sensible, manchmal robuste Mädchen im Sportgymnasium in Schwerin ankommt, als einzige Boxerin. Sie muss sich bei den Volleyballerinnen umziehen, weil es bei den Faustkämpfern keine zweite Umkleide gibt, und kriegt von den Jungs Sprüche reingedrückt. »Die ersten Jahre habe ich nach dem Training oft geweint, wenn die mich geärgert haben«, sagt sie. »Aber jetzt bin ich die Einzige von allen, die noch da ist. Also muss ich doch was richtig gemacht haben.«
Ein steter Weg nach oben
Das sieht Michael Timm genauso. Der erfahrene Trainer, der schon bei Profi-Championesse Ina Menzer in der Ecke stand, hat die veranlagte Boxerin am Bundesstützpunkt Schwerin über etliche Jahre nach oben geführt. Keine besonders steile, aber sehr stetige Kurve, die genau richtig für sie war. »Ich bin ja nicht der Typ, dem man öfters in den Hintern treten muss«, sagt sie selbst. »Bei mir passt eher die ruhige Schiene. Inzwischen kriegen wir das auch ziemlich perfekt hin. Wenn ich im Ring bin, vertraue ich darauf, dass er mir das Richtige sagt. Das ist ein krasses Vertrauensverhältnis.«
Visitenkarten bei der EM abgegeben
Und sehr produktiv. Auf nationaler Ebene hat die Angestellte der Bundeswehr sich im Mittelgewicht als Nummer 1 etabliert. Auf internationaler Ebene hat sie mit Platz 2 und 3 bei den Europameisterschaften nachgewiesen, dass sie mit der Elite mithalten kann. Nur gingen die entscheidenden Kämpfe bis dato öfters knapp verloren – darunter die Quali für Rio 2016. Umso mehr reizt es sie, bei nächster Gelegenheit den letzten Schritt zu machen. Anders gesagt: Wenn der große Sport eine Party ist, möchte Sarah Scheurich jetzt noch nicht nach Hause gehen. »Ich fange gerade erst richtig an, da oben bei den Besten mitzuspielen«, sagt sie, »und das möchte ich noch ein bisschen auskosten.«
Hörbare Stimme in den sozialen Medien
Die Follower ihrer Instagram-Einträge (»fighterella«) würden ihr schon heute eine Medaille für die authentische Art verleihen, in der sie dort ganz offen von Höhen und Tiefen erzählt, einschließlich ihres Kampfes mit ADHS. Für sie selbst ist das eine Sache der Überzeugung. »Es ist doch schade, wenn man versucht, sowas zu verstecken«, sagt Scheurich. »Ich meine, ich bin ja erfolgreich und bringe meine Leistung. Also warum sollte man nicht darüber reden?«