Asya Ari: Das müh­sa­me Jahr

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In dem Sport-Tage­buch, das sie über­all mit sich führt, kennt Asya Ari kei­ne Gna­de. Dort hält die 19-jäh­ri­ge mit den meist zum Zopf gebän­dig­ten, dicken Haa­ren tag­täg­lich klipp und klar fest, wel­ches Pen­sum sie im Trai­ning absol­viert hat, sowie in wel­cher Inten­si­tät. Die­se Ein­trä­ge geht sie vor der nächs­ten Ein­heit jeweils noch mal durch, wie sie erklärt, »um zu sehen, was ich zuletzt gut oder nicht so gut gemacht habe«. Nur so kann nach ihrer Über­zeu­gung die ste­tig anstei­gen­de Leis­tungs­kur­ve ent­ste­hen, die ihre Lauf­bahn im Boxen prä­gen soll — und das nicht erst in eini­gen Jahren.

»Ich darf jetzt nicht locker­las­sen und sagen, ich bin noch zu jung«, sagt sie. Und dann: »Okay, ich bin noch sehr jung. Aber ich will die­se Tat­sa­che nicht als Aus­re­de neh­men. Sonst wird mein Kör­per mir unter­be­wusst nur so viel geben, wie gera­de nötig ist. Wenn mein Anspruch aber wei­ter nach oben geht, ist die Wahr­schein­lich­keit, dass ich dahin kom­me, viel grö­ßer. Auch wenn das noch mei­len­weit von der Rea­li­tät ent­fernt ist…«

Schwer zu glau­ben, dass da eine Schü­le­rin spricht, die am Wil­li-Hell­pach-Gym­na­si­um in Hei­del­berg, einer Part­ner­schu­le des dor­ti­gen Olym­pia­stütz­punkts, erst noch Anlauf fürs Abitur neh­men möch­te. Aber wer sagt denn, dass nicht auch ein Teen­ager schon genug Dis­zi­plin und Struk­tur haben kann, um fest umris­se­ne, nicht zu beschei­de­ne Zie­le zu ver­fol­gen? Und wann wäre in die­sem ganz beson­de­ren Fall etwas nicht im Zeit­raf­fer pas­siert, zumin­dest bis vor Kurzem?

Asya Ari ist regel­recht durch­ge­wun­ken wor­den, nach­dem sie mit 12 genug von der Schwimm­hal­le hat­te und andert­halb Jah­re spä­ter ins Gym des 1.BC Fran­ken­thal wech­sel­te. Die Eupho­rie und Kon­se­quenz, mit der sie da zur Sache ging, konn­ten bald ihre Eltern über­zeu­gen und wur­den auch im Ring zum Erfolgs­trei­ber. Den ers­ten, natio­na­len Jugend-Titel hol­te das Ener­gie­bün­del weni­ge Mona­te nach sei­nem ers­ten Kampf; zwei Jah­re spä­ter wur­de die 18-jäh­ri­ge mit ihrem hoch­fre­quen­ten Stil Meis­te­rin der Senio­rin­nen. 2022 kul­mi­nier­ten die Din­ge, als Ari Euro­pa­meis­te­rin sowie dann auch Vize-Welt­meis­te­rin der U19 wer­den konn­te – am glei­chen Abend wie Car­lot­ta Schü­ne­mann (Box­zen­trum Müns­ter) und Chris­ti­na Kout­sou­ch­ris­tou (BC Menden).

Auf­stieg im Zeit­raf­fer: Für Erfol­ge ist es nie zu früh

Seit­her steht das sil­ber­ne Trio für die Hoff­nung des Ver­bands auf die ers­te Medail­le einer deut­schen Boxe­rin bei Olym­pia, ent­we­der in Los Ange­les (2028) oder in Bris­bane (2032). Doch für Asya Ari könn­te es mal wie­der schnel­ler gehen. Sie muss­te von Eddie Bol­ger nicht lan­ge über­re­det wer­den, um zum Jah­res­be­ginn in den Per­spek­tiv­ka­der sowie ins Hei­del­ber­ger Inter­nat zu wech­seln. Der iri­sche Chef­trai­ner hat­te sie gefragt, »ob ich noch auf den Zug nach Paris auf­sprin­gen will«, und ihr dafür sei­ne vol­le Unter­stüt­zung ange­bo­ten: Sie wäre nicht die ers­te Hoch­ver­an­lag­te, die schon in jun­gen Jah­ren etwas reißt. War­um also noch län­ger warten?

Ich lie­be es, zu wis­sen, dass ich nicht här­ter hät­te trai­nie­ren kön­nen, und ver­su­che immer, über Gren­zen zu gehen. Dann kann ich mit rei­nem Gewis­sen in den Ring steigen.

Mit der ver­blüf­fen­den Leich­tig­keit ist es nun jedoch vor­bei. Beim Trai­ning mit der Eli­te merkt Ari immer wie­der, »dass ich da noch ent­schlos­se­ner sein muss, weil mein Kör­per noch nicht kom­plett aus­ge­wach­sen ist«. Und auf inter­na­tio­na­len Tur­nie­ren hat es zuletzt mehr Nie­der­la­gen als Sie­ge gege­ben – nicht nur in Debre­cen und in Sofia, son­dern auch bei den Euro­pean Games im pol­ni­schen Nowy Targ, wo Ende Juni die ers­ten Start­plät­ze für Paris ver­ge­ben wur­den. Sie war nicht gera­de bevor­zugt wor­den von den Juro­ren, die am Ende ihre rumä­ni­sche Geg­ne­rin mit 3:2 vor­ne sahen. Doch statt dar­über zu kla­gen, will sie lie­ber auf­ar­bei­ten, was noch bis zur Spit­ze fehlt.

»Frü­her habe ich immer das Fina­le erlebt«, fasst Ari zusam­men. »Jetzt kom­me ich in die abso­lu­te Eli­te und wer­de plötz­lich gestoppt, geblockt, gehin­dert. Ich kann nicht mehr so ein­fach domi­nie­ren, muss tak­tisch viel cle­ve­rer arbei­ten. Dazu man wird kör­per­lich bestraft, wenn man nicht abso­lut aus­trai­niert ist. Wer zu wenig Aus­dau­er hat, wird domi­niert, und wer nicht genug Kraft besitzt, kann kei­ne Akzen­te set­zen. Das macht dann die Geg­ne­rin für dich…«

Anschluss an die abso­lu­te Spit­ze: Die Ein­stel­lung passt haargenau

Also heißt es, noch mehr Phy­sis auf­zu­bau­en, in jeden Bereich noch mehr zu inves­tie­ren. Ein­schließ­lich der men­ta­len Aspek­te, über die sie in Fran­ken­thal so gern mit Trai­ner Andre­as Rie­del gespro­chen hat, denn »wer nicht sta­bil ist, braucht gar nicht erst in den Ring zu gehen.« Das könn­te einen weni­ger emsi­gen Cha­rak­ter vor erns­te Pro­ble­me stel­len, »aber das ist ja das, was mich dar­an reizt: Ich gehe in jede Ein­heit, um etwas zu ler­nen. Außer­dem bin ich eine, die man eher brem­sen muss. Ich lie­be es, zu wis­sen, dass ich nicht här­ter hät­te trai­nie­ren kön­nen, und ver­su­che immer, über Gren­zen zu gehen. Dann kann ich mit rei­nem Gewis­sen in den Ring steigen.«

So wun­dert sich am Stütz­punkt in Hei­del­berg kei­ner mehr, wenn er die Fleiß­bie­ne mor­gens, lan­ge vor der ers­ten Trai­nings­ein­heit, auf dem Ergo­me­ter sich­tet. Oder im Kraft­raum. Oder übers Tage­buch gebeugt. Sie muss ja immer beschäf­tigt wer­den und erlaubt sich Pau­sen allen­falls, »weil Rege­ne­ra­ti­on dazu­ge­hört.« Ansons­ten reicht ein Spa­zier­gang mit dem Hund, daheim im kei­ne 40 Kilo­me­ter ent­fern­ten Fran­ken­thal, um eine Wei­le abzu­schal­ten. Oder ein Streif­zug durch die Hei­del­ber­ger Alt­stadt, der in der Sai­son fast immer in »der bes­ten Eis­die­le Deutsch­lands« endet. Hier wie im Inter­nat fühlt sie sich »pudel­wohl«.

Fest im Visier sind nun auf kur­ze Sicht der World Cup in Köln (Ende Okto­ber) und die U22-EM im Novem­ber in Baku sowie lang­fris­tig die Welt-Qua­li­fi­ka­ti­on für Paris im nächs­ten Früh­som­mer. Bis dahin will Asya Ari den Abstand zur abso­lu­ten Eli­te so weit ver­kürzt haben, dass sie viel­leicht selbst schon dazu­ge­hört. Gerin­ger soll­ten Ziel­set­zun­gen nach ihrem Geschmack auf kei­nen Fall aus­fal­len, »sonst lohnt sich der gan­ze Auf­wand dafür ein­fach nicht«.

»Ich wuss­te, dass die­ses Jahr viel­leicht das Här­tes­te in mei­ner Lauf­bahn wird«, sagt sie dann noch. »Aber ich sehe das wie ein Ren­nen. Jetzt bin ich viel­leicht noch wei­ter hin­ten, vor allem, was die Phy­sis betrifft. Aber es wird einen Punkt geben, an dem ich die alle ein­ho­le. Und eine Ath­le­tin, die merkt, dass es vor­an geht, kann an sich nie­mand bremsen.«


Asya Ari