Besucher sagen wohl schon Kassel dazu, Anwohner sprechen präziser vom Stadtteil Niederzwehren. Die Ruhe der Peripherie tut jedenfalls allen gut, die hier die Übersicht bewahren müssen. Das ist in dem von blauen Stahlträgern eingefassten Haus an der Korbacher Straße 93 vielleicht die wichtigste Übung. Was auf dessen oberster Etage Tag für Tag an verschiedensten Aufgaben zusammenströmt, braucht einen kühlen Kopf. Oder am besten gleich mehrere.
»Einige glauben vielleicht, dass wir hier öfter mal ein Kaffeekränzchen halten«, sagt Elke Windmüller. »Dabei haben wir seit einigen Jahren kaum noch ruhige Phasen.« Solche Vorurteile haben für Christina Bär allerdings viel mit mangelndem Einblick zu tun: »Außerhalb der Geschäftsstelle weiß doch kaum einer, was wir hier machen, und wieviel Aufwand, wie viele Maßnahmen dahinterstecken, damit die Aktiven boxen können…«
Büroarbeit kommt eben nicht an erster Stelle, wenn von Leistungssport die Rede ist; das gilt sicher für alle olympischen Disziplinen. Doch wie weit käme der Deutsche Boxsport-Verband ohne das geräuschlose Wirken von Kräften wie Frau Bär und Frau Windmüller? Die junge Frau mit dem Bachelor in Wirtschaftswissenschaften und ihre erfahrene Kollegin machen zusammen fünfzig Prozent vom Back-Office aus, das an seinem Geschäftssitz das Tagesgeschäft erledigt. Und das ist nun mal der Löwenanteil.
Vier Räume, hundert Aufgaben: Im ›Maschinenraum‹ des Verbandes kommt keine Langeweile auf
Persönliche Daten und Einsätze aller Aktiven sowie Kampfrichter laufend aktualisieren; Startgenehmigungen und Lizenzen erteilen; Meetings und Reisen für den Vorstand sowie Trainingsmaßnahmen für alle Leistungskader organisieren bzw. abrechnen; mit anderen Verbänden, strategischen Partnern und internationalen Gremien korrespondieren, bei Bedarf auch in Englisch: Das alles ist in diesen vier Räumen so akkurat wie möglich umzusetzen, erklärt Christina Bär, »und es kommt laufend Neues dazu, von allen Seiten.«
Nur gut also, dass da noch zwei weitere, junge Mitarbeiterinnen sind: Emel Ünsal, ausgebildete Kauffrau für Büromanagement, und Kristina Schmidt, die ihren Bachelor ebenfalls in Wirtschaftswissenschaften erworben hat und sich in Teilzeit um die Finanzen sowie das ›Bestellwesen‹ kümmert, von den Startgenehmigungen bis zu den Jahreslizenz-Marken. Das ist im Zuge der aktuellen Digitalisierung im Verband nicht immer das einfachste Mandat, wie sie erfahren durfte: »Wenn da etwas nicht gleich funktioniert, kriege ich das natürlich als Erste ab. Im Prinzip aber kommt das schon sehr gut voran…«
In dringenden Fällen bringen sich alle aber auch jenseits ihrer Kernkompetenzen in andere Bereiche ein. Das hat laut Windmüller viel mit Terminen und Fristen zu tun: »Jeder hilft jedem, sonst funktioniert es auch nicht, bei so wenigen Leuten.« Und wenn doch mal was nicht auf Anhieb klappt, ist sowieso Frau Bär schuld. Die wurde zum Juli zur Leiterin der Geschäftsstelle ernannt, damit es dort noch klarere Strukturen sowie eine erste Verantwortliche gibt — mit ausdrücklicher Lizenz zu eigenen Entscheidungen.
Steile Hierarchien ergeben sich daraus eher nicht, das spürt man schnell auf dieser Etage. Im Wesentlichen ist hier ›einfach‹ alles abzuwickeln, was an der Schnittstelle von 17 Landesverbänden, einem neu aufgestellten Vorstand und fast 900 Mitgliedsvereinen anfällt. Das bringt naturgemäß auch mal Reibung mit sich. So mancher Aktive oder Funktionsträger etwa muss mindestens ein zweites und drittes Mal erinnert werden, dass da noch Unterlagen, Gebühren oder Beiträge fehlen. Dann üben sich die Angestellten hier notgedrungen im nicht-olympischen Sport des Hinterherlaufens.
»Das nimmt viel Zeit in Anspruch, in der wir längst anderes erledigen könnten«, sagt Windmüller, die vor ihrer Zeit beim DBV auch schon für den Deutschen Schwimmverband gearbeitet hat. »Darum wird man irgendwann auch im Schreibstil etwas härter… Manche verstehen’s einfach nicht.«
Unterlagen, Startmarken, Abrechnungen: Höchste Zeit, dass viele Abläufe digital werden
Das bisschen Ärger ist in aller Regel jedoch schnell vergessen, wie auch Emel Ünsal versichert – und wird durch positive Rückmeldungen mehr als aufgewogen. Außerdem führt gerade die Digitalisierung dazu, dass manches Verfahren bald beschleunigt und vereinfacht wird. Dann können Reisekosten-Belege einfach mit dem Smartphone fotografiert und sofort zugesandt werden. »Das ist gerade für die Aktiven eine Riesen-Erleichterung«, betont Christina Bär.
Und das Codewort ›Vielen Dank‹ fällt auch öfters – etwa in der Zusammenarbeit mit dem Vorstand sowie Sportdirektor Michael Müller, der hier über einen eigenen Schreibtisch verfügt. Der kann sich auch unterwegs, und das ist häufig, auf das Blatt mit vier Damen verlassen, um im Spiel zu bleiben. »Die Bereitschaft zu flexibler, übergreifender Zusammenarbeit hat sich gerade in den letzten zwei Jahren noch mal deutlich verbessert«, resümiert er. Und: »Was die Damen da im Detail alles leisten, wird draußen weit unterschätzt.«
Die »lernbereite, offene Art« (Müller) wird angesichts der jüngsten Umwandlungen im digitalen Zeitalter auch weiter belastet werden. Bisher aber wusste das unverzagte Back-Office noch jedes Tempo mitzugehen. Ähnlich wie die Boxer und Boxerinnen, die alle vier inzwischen schon das eine oder andere Mal dicht am Ring erleben durften. Was bei allen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.
»Ich war beim Cologne Cup und fand es hochinteressant, was da geleistet wurde«, sagt Christina Bär. »Das hat live noch mal eine ganz andere Wirkung als im Fernsehen.« Elke Windmüller wiederum war beim Chemie-Pokal in Halle insbesondere von der Atmosphäre angetan. »Die Leute haben sich wie in einer großen Familie benommen«, sagt sie, »das hat mir sehr gut gefallen.«