Olaf Leib: Der Dyna­mo vom Chem­nit­zer Sportforum

Wir sind der DBV

In der Stadt Chem­nitz und drum­her­um kur­siert ein Stan­dard­satz, wenn es um Belan­ge des olym­pi­schen Box­sports geht. Er hat seit Jah­ren, wenn nicht Jahr­zehn­ten Bestand und lässt sich bei Bedarf wie eine Paro­le her­un­ter­be­ten – unab­hän­gig davon, um wel­ches Pro­blem es gera­de geht.

»Macht der Olaf«, sagen sie beim BC Chem­nitz 94, sobald wie­der eine Ver­an­stal­tung ansteht. Jeder weiß ja, dass der Mana­ger Olaf Leib alles gibt, wenn die ›Wöl­fe‹, so der von ihm ein­ge­führ­te Name der Ver­eins­staf­fel, ihren nächs­ten Heim­kampf in der Box-Bun­des­li­ga bestrei­ten. Das reicht von der Mobi­li­sie­rung erstaun­lich vie­ler ehren­amt­li­cher Hel­fer über das öffent­li­che Trom­meln für den Event bis zur Auf­stel­lung der Staf­fel am Ring. Selbst­ver­ständ­lich gehört auch die Betreu­ung der Akti­ven am Ring noch dazu: Erst dann ist das Rudel für ihn komplett.

»Macht der Olaf«, heißt es am Lan­des­stütz­punkt Chem­nitz, wo der DBV auf­fal­len­de Talen­te aus der Regi­on auf höchs­te Leis­tungs­ebe­nen brin­gen will. So wie zuletzt Maxi Klöt­zer, die vor zwei Jah­ren an der U22-WM die Sil­ber­me­dail­le in der Klas­se bis 51 Kilo gewann. Dafür steht am Sport­fo­rum im Stadt­teil Berns­dorf eine Hal­le mit drei Hoch­rin­gen bereit. Sie ist für den so genann­ten Lan­des- und Talent­trai­ner Olaf Leib eine Art natür­li­ches Habi­tat: Hier wirkt er mit ande­ren Box­leh­rern vom Vor­mit­tag bis in den Abend hin­ein an der »ver­tief­ten sport­li­chen Aus­bil­dung« mit, wie das offi­zi­ell heißt.

»Macht der Olaf«, hört man schließ­lich auch im Box-Ver­band Sach­sen (BVS), der sei­nen Sitz an glei­cher Stel­le hat. Dazu gehö­ren fast fünf­zig Mit­glieds­ver­ei­ne, die ähn­lich den alten Fach­ver­bän­den in der DDR in drei Groß­be­zir­ken orga­ni­siert sind: Nordwest‑, Süd­west- und Ost­sach­sen. Das bedeu­tet für den Prä­si­den­ten im geschäfts­füh­ren­den Vor­stand, einen sehr stäm­mi­gen Mann namens Olaf Leib, zusätz­li­chen Auf­wand. Auch der SV 1919 Grim­ma, VSV Ein­tracht Klin­gen­thal und die Rade­ber­ger Box­uni­on 2000 haben ja bis­wei­len The­men, die der Unter­stüt­zung bedürfen.

Ein­satz mit Leib und See­le: Boxen steht »von Mon­tag bis Mon­tag« an ers­ter Stelle

So hat der 57-jäh­ri­ge mit dem pfif­fi­gen Blick unter den dicken Locken »von Mon­tag bis Mon­tag« mit Boxen zu tun, wie er resü­miert — ohne auch nur eine Sekun­de lang so aus­zu­se­hen, als wol­le er dar­über Kla­ge füh­ren. Sei­ne Bereit­schaft, tief in die Mate­rie ein­zu­tau­chen, hat ja nicht nur Ver­ein und Ver­band, son­dern auch ihn wach­sen las­sen. Bis zu der scharf­kan­ti­gen Per­sön­lich­keit, die sich heu­te in ganz vie­le Berei­che ein­bringt: So enga­giert wie mei­nungs­freu­dig, kennt­nis­reich und streit­bar. Ein wasch­ech­ter Sach­se, der sich nie­mals unter­krie­gen lässt. 

Schwim­men hat ihm »keen Spaß« gemacht, als Chem­nitz noch Karl-Marx-Stadt war und er im Rah­men des ESA-Pro­jekts (Ein­heit­li­che Sich­tung und Aus­wahl) zum Kachel­zäh­len emp­foh­len wur­de. Also wech­selt er mit neun Jah­ren in die Box­ab­tei­lung der BSG Wis­mut. Hier bleibt er zunächst, »weil das gleich bei mei­ner Schu­le lag« und er »alles, was fetz­te« inter­es­sant fand. Außer­dem begeg­net er von nun an Trai­nern, die Vor­bil­der wer­den. So wie der 2017 ver­stor­be­ne Erich Posor­ski, ehe­ma­li­ger DDR- sowie gesamt­deut­scher Meis­ter, oder Horst Blan­ken­burg, den er »mensch­lich unheim­lich wert­voll« findet.

Es ist näm­lich bald erkenn­bar, dass der Nach­wuchs­bo­xer Leib aus der AK 13 Bezirks­aus­wahl trotz anspre­chen­der Leis­tun­gen (u.a. Medail­le bei der Spar­ta­kia­de in Ost- Ber­lin) kei­ne sport­po­li­tisch gewoll­te Per­spek­ti­ve hat. Was wohl auch an der Akte sei­nes Vaters liegt, der Repu­blik­flücht­ling gewe­sen ist und nach der frei­wil­li­gen Rück­kehr erst­mal sie­ben Mona­te in Haft ver­brin­gen muss. Wohl aber der Nach­wuchs­trai­ner Leib, der 1988, mit 22 Jah­ren, zum jüngs­ten Bezirks­trai­ner der DDR avan­ciert – und par­al­lel an der Leip­zi­ger Hoch­schu­le für Kör­per­kul­tur wis­sen­schaft­lich aus­ge­bil­det wer­den sollte.

Jeder Leh­rer an der Schu­le ist heu­te bes­ser abge­si­chert als der Trai­ner im Ver­ein. Das schafft auf Dau­er den Beruf ab. Weil sich das irgend­wann kei­ner mehr antut, immer nur von Jah­res­ver­trag zu Jah­res­ver­trag zu denken…

»Da haben sie mir dann doch das Ver­trau­en gege­ben«, ord­net der Rou­ti­nier die kon­se­quen­te För­de­rung rück­bli­ckend ein. Das habe dafür gesorgt, »dass ich mich rich­tig ent­wi­ckeln konnte«.

Zwei Jah­re spä­ter aber erhält er nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung der bei­den deut­schen Ver­bän­de zunächst die Ent­las­sungs­ur­kun­de vom Deut­schen Turn- und Sport­bund (DTSB), wie alle Trai­ner aus den »neu­en Län­dern«. Das hät­te weni­ger robus­te Cha­rak­te­re viel­leicht vom Feld getrie­ben. Olaf Leib hin­ge­gen ist bald wie­der dabei, als der Chem­nit­zer Sport­club (CSC) in den BC Chem­nitz 94 e.V. umge­wan­delt wird. Außer­dem stemmt er schon mit 24 sein ers­tes inter­na­tio­na­les Tur­nier in der (abge­ris­se­nen) Men­sa am Sport­fo­rum. De fac­to im Allein­gang, nach­dem die Agen­tur eines Part­ners sich kaum zwei Wochen vor dem Tag X zurück­zieht, ohne einen ein­zi­gen Spon­sor auf­ge­trie­ben zu haben.

»Ich bin dann auf eige­ne Faust durch die Läden und Knei­pen gezo­gen«, erin­nert Leib amü­siert. »Und nach zwee Tagen hat­te ich tat­säch­lich 26.000 Mark zusam­men. Das war mein Start als Mana­ger und Spe­zia­list für Sponsoring…«

Über drei­ßig Jah­re Bun­des­li­ga: Die Wöl­fe leben Kontinuität

Viel hat sich dar­an bis heu­te nicht geän­dert. Es liegt in ers­ter Linie an Leibs rau­em Charme und sei­nem emsig gepfleg­ten Kon­takt­netz, dass in die­ser Stadt wei­ter ohne grö­ße­re Ver­lus­te öffent­lich geboxt wer­den kann. Das gilt für das gro­ße Tur­nier, an dem im Spät­som­mer vor allem inter­na­tio­na­le Städ­te­part­ner teil­neh­men, ähn­lich wie für die Begeg­nun­gen der ›Wöl­fe‹ in der Bun­des­li­ga. Dort mischen die Chem­nit­zer seit 1991 unun­ter­bro­chen mit – und leis­ten damit mehr als manch ande­rer Stütz­punkt-Ver­ein im DBV, wie Leib mit Nach­druck betont: »Eigent­lich müss­ten die ver­pflich­tet wer­den, sich an der Liga zu betei­li­gen, wenn sie ihren Sta­tus behal­ten wollen.«

Noch mehr treibt den kri­ti­schen Geist aller­dings die bri­san­te Situa­ti­on der Trai­ner in Deutsch­land um – auch im olym­pi­schen Boxen. Er selbst hat sich nach der Wen­de an der Köl­ner Trai­ner­aka­de­mie sowie an der Hoch­schu­le für Sport und Gesund­heit in Ber­lin inten­siv wei­ter­qua­li­fi­ziert. Doch wer von denen, die heu­te den unge­schütz­ten Titel für sich bean­spru­chen, kennt sich wirk­lich mit Leis­tungs­ent­wick­lung und Sport­psy­cho­lo­gie aus? Oder ist in der Lage, kom­ple­xe Trai­nings­plä­ne zu schrei­ben? Dar­in lie­gen Leib zufol­ge »Rie­sen­pro­ble­me, die dem deut­schen Leis­tungs­sport auf län­ge­re Sicht das Genick bre­chen können«.

Das hat für den Mit­be­grün­der des Berufs­ver­bands der Trai­ne­rin­nen und Trai­ner im deut­schen Sport (BVTDS) nicht zuletzt mit feh­len­den Per­spek­ti­ven zu tun. »Jeder Leh­rer an der Schu­le ist heu­te bes­ser abge­si­chert als der Trai­ner im Ver­ein, der sich die gan­ze Woche den Arsch auf­reißt«, sagt Olaf Leib in sei­ner kla­ren Dik­ti­on. »Das schafft auf Dau­er den Beruf ab. Weil sich das irgend­wann kei­ner mehr antut, immer nur von Jah­res­ver­trag zu Jah­res­ver­trag zu denken…«

›Macht der Olaf‹ ist also nur die eine Sei­te des Man­nes, der sich acht Tage die Woche fürs Boxen ein­bringt, inklu­si­ve Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge und Freun­de (»die wer­den ein­fach dazu ver­haf­tet, anders geht es nicht«). Die ande­re ist mit ›meint der Olaf‹ ange­mes­se­ner titu­liert und nötigt allen, die wirk­lich zuhö­ren, ähn­lich viel Respekt ab: Run­de um Run­de, Satz für Satz zeigt sich da ein wah­rer Aktivposten.


Olaf Leib