Jür­gen Pan­se: Das Erbe von Gera

Wir sind der DBV

Der ers­te Rüt­tel­test kam früh. »Wie ein ange­hen­der Welt­meis­ter« hat sich Jür­gen Pan­se gefühlt, als er in den Sech­zi­ger Jah­ren die Urkun­de für die Beru­fung ans Leis­tungs­zen­trum in Gera erhielt. Das Hoch­ge­fühl währ­te nicht lan­ge: Beim ers­ten Trai­ning in der Lud­wig-Jahn-Hal­le bekam der hoch auf­ge­schos­se­ne Schü­ler der poly­tech­ni­schen Ober­schu­le von erfah­re­ne­ren Geg­nern gleich »eene druff«, wie er in bes­tem thü­rin­gi­schen Zun­gen­schlag erin­nert. ›Mal sehen, ob der mor­gen über­haupt wie­der­kommt‹, wur­de hin­ter sei­nem Rücken geunkt. Er kam aber wie­der, Tag für Tag, bis er mit 19 Jah­ren, nach Frak­tu­ren an den Hand­wur­zel­kno­chen und zwei letzt­lich erfolg­lo­sen Ope­ra­tio­nen, doch pas­sen musste.

Das vor­zei­ti­ge Ende der sport­li­chen Lauf­bahn bedeu­te­te jedoch kei­nen Abschied vom Ring. Man kann sich ja auch als Unpar­tei­ischer ein­brin­gen, um dabei zu blei­ben, so wie Pan­se es spä­ter hielt, und in sei­nem Ver­ein bzw. im Lan­des­ver­band in ent­schei­den­den Funk­tio­nen wir­ken. In dem Sin­ne steht der inzwi­schen 73-jäh­ri­ge, der so jun­gen­haft fei­xen kann, für bemer­kens­wer­te Kon­ti­nui­tät. Sein Enga­ge­ment hat sub­stan­zi­ell dazu bei­getra­gen, dass Boxen an der Wei­ßen Els­ter (so heißt der Fluss bei der Stadt) ein Fak­tor geblie­ben ist – über alle Hochs und Tiefs sowie zwei völ­lig ver­schie­de­ne För­der­sys­te­me hin­weg. Und das gilt im Grun­de bis heute. 

Es gibt eben wel­che, die nie wirk­lich los­kom­men von ihrem Sport, und der eins­ti­ge Diplom-Inge­nieur der Infor­ma­ti­ons­tech­nik ist einer davon. So kann man ihn auch die­ser Tage gele­gent­lich ›auf der Hal­le‹, also im Sport­kom­plex Ulli Weg­ner an der Zeu­len­ro­daer Stra­ße, beim Trai­ning des BC Wis­mut Gera erle­ben. Als amtie­ren­der Prä­si­dent des Ver­eins, des­sen Vor­gän­ger zu den Hoch­bur­gen der DDR gehör­te, will er schließ­lich auf dem Lau­fen­den sein. Und sich mit Trai­nern abstim­men, deren Namen man­chem in den Ohren klin­gen – von Ulli Kaden, dem zwei­fa­chen Euro­pa­meis­ter im Schwer­ge­wicht, bis zum ehe­ma­li­gen Vize-Welt­meis­ter Enri­co Rich­ter. Enthu­si­as­ten alle­samt, die hier etwas zurück­ge­ben wollen. 

»Ich war halt immer ver­bun­den damit«, sagt Pan­se, »bin′s ja heu­te noch.«

Akti­ver, Ring­rich­ter, Ver­eins­prä­si­dent: Der Draht zum Box­sport über­steht einen Sys­tem­wech­sel – und hält bis heute

Ver­bun­den durch das Amt des Ring- und Punkt­rich­ters, das Pan­se ab dem 28.Lebensjahr aus­übt – also in Zei­ten, als der Ver­ein noch Betriebs­sport­ge­mein­schaft der Wis­mut ist, dem Uran­erz-Gigan­ten der DDR. Über rund 550 Ein­sät­ze, etli­che natio­na­le wie inter­na­tio­na­le Tur­nie­re und Spar­ta­kia­den hin­weg wirkt er ganz in Weiß und aus Über­zeu­gung so dezent wie mög­lich: »Man­che wol­len unbe­dingt auf­fal­len, die unter­bre­chen und ges­ti­ku­lie­ren immer wie­der. Aber wir sind ja nicht der Vor­der­grund. Das sind die zwei Boxer oder Boxerinnen.«

Ver­bun­den durch die Wahl zum ers­ten Prä­si­den­ten des neu gegrün­de­ten Thü­rin­gi­schen Lan­des­ver­bands, der 1990, also nach der Wen­de, die frü­he­ren Bezirks­fach­aus­schüs­se von Gera, Erfurt und Suhl zusam­men­fasst. Das wird »eine schwie­ri­ge Zeit«, weil sie plötz­lich »gucken muss­ten, woher nun das Geld kommt«. In dem Sin­ne hat der gewitz­te Wort­füh­rer schon bei den bila­te­ra­len Gesprä­chen zur Auf­nah­me des DDR-Ver­bands in den DBV um Unter­stüt­zung statt Her­ab­las­sung gebeten.

Wir haben immer wie­der mal einen Leucht­stern. Aber wenn wir uns brei­ter auf­stel­len wol­len, muss an der Basis mehr pas­sie­ren. Dann kommt in der Spit­ze auch mehr an.

»Die woll­ten uns da was übers Boxen erzäh­len«, erin­nert Pan­se das ent­schei­den­de Tref­fen Ende 1990 in Bochum. »Da habe ich gesagt, schön und gut, aber wir kön­nen ja mal gucken, wer wie vie­le olym­pi­sche Medail­len gewon­nen hat. Wir erwar­ten von euch, dass ihr uns etwas über Mar­ke­ting, Spon­so­ring und die künf­ti­ge Zusam­men­ar­beit erzählt…«

Und noch mal ver­bun­den, als ver­dien­te Ex-Boxer wie Enri­co Rich­ter ihn 2006 über­re­den, den Vor­sitz des neu gegrün­de­ten BC Wis­mut zu über­neh­men – nach­dem der Vor­gän­ger-Club samt Leis­tungs­zen­trum vor Jah­ren abge­wi­ckelt wor­den ist. So küm­mert Pan­se sich dar­um, »dass der Ver­ein erst­mal zu sich kommt«, und gibt bei ein paar Box-Galas zur Finan­zie­rung im Kon­gress­zen­trum noch mal den ›Drit­ten Mann‹. Danach aber nie wie­der, denn »man soll­te nicht so lan­ge war­ten, bis es heißt, Mensch, war­um geht der alte Mann da immer noch hoch…«

Neu­grün­dung, Hoch­was­ser, Hal­len­su­che: In Gera wird sich durch­ge­boxt auch jen­seits des Rings

Die Wie­der­be­le­bung ist ein zäher Pro­zess, sie sind zunächst sechs Funk­tio­nä­re und vier Akti­ve. Außer­dem dau­ert es, bis man ihnen an der Vol­lers­dor­fer Stra­ße eine Trai­nings­stät­te zur Ver­fü­gung stellt – und die wird durch Hoch­was­ser im Juni 2013 unbrauch­bar. Bis sie die jet­zi­ge Hal­le am Stadt­rand bezie­hen kön­nen, gewährt ihnen ein Fit­ness­zen­trum vier Jah­re lang Asyl. Sol­che Lösun­gen wer­den auch auf­grund enger Kon­tak­te zu Ent­schei­dern und regio­na­len Medi­en mög­lich, wie Pan­se andeu­tet. »Es scha­det nichts, wenn man jemand kennt«, sagt er in typi­schem Understatement.

Heu­te zählt der BC Wis­mut immer­hin rund 130 Mit­glie­der; das ent­spricht einem Zehn­tel aller orga­ni­sier­ten Box­sport­freun­de im Lan­des­ver­band. Er kommt über die Run­den, ohne ganz an die Schlag- und Strahl­kraft frü­her Zei­ten her­an­zu­rei­chen. Als die größ­ten Talen­te zwi­schen Schie­fer- und Erz­ge­bir­ge hier­her dele­giert wur­den, zum Fein­schliff unter Meis­ter­trai­nern wie Hans Spa­zie­rer, Rudi Rochel oder Ulli Weg­ner. Wäh­rend sie nun nach Frankfurt/Oder abge­ge­ben wer­den, an den Olym­pia­stütz­punkt, »weil wir gar nicht die Kräf­te haben, um zwei­mal am Tag Trai­ning anzu­bie­ten«, so Panse.

»Wir haben immer wie­der mal einen Leucht­stern«, ist er über­zeugt, »aber wenn wir uns brei­ter auf­stel­len wol­len, muss an der Basis mehr pas­sie­ren. Dann kommt in der Spit­ze auch mehr an…«

Und dann spru­deln sie nur so her­aus, die Ideen, weil der kri­ti­sche Rou­ti­nier wei­ter­hin Din­ge ansto­ßen möch­te. Für die Stadt, die nach dem Ende der Wis­mut und ande­rer Indus­trien geschrumpft ist, von 140.000 auf 90.000 Ein­woh­ner. Sowie für den Box­sport, der nicht nur hier nach­hal­ti­ger wach­sen wür­de, »wenn man die Ver­ei­ne mehr unter­stützt und das Ehren­amt wirk­sa­mer för­dert. Zum Bei­spiel, indem man die Trai­ner mal ein, zwei Tage von der Arbeit für ein Trai­nings­la­ger frei­stellt. Oder so, dass sie für unse­re Jugend­li­chen auch mal um drei statt erst um fünf Uhr auf der Hal­le sein können…«

Das mag nicht so klin­gen, als wür­de der Ehren­vor­sit­zen­de des TBV, der dort auch die Kas­se prüft, bald von sei­nen Ämtern las­sen. Auf mitt­le­re Sicht wäre er jedoch »nicht böse, wenn′s mal ein ande­rer macht«. »Viel­leicht haben Jün­ge­re ja noch ganz ande­re, neue Ideen«, sagt Jür­gen Pan­se. »Das wäre auch nicht verkehrt.«


Jür­gen Panse